Washington. .

In der Schnüffel-Affäre um den US-Auslandsgeheimdienst NSA gerät die Obama-Regierung immer stärker in den Verdacht, fortgesetzt die Privatsphäre von Millionen Amerikanern zu verletzen und die Unwahrheit über das Ausmaß der Überwachung zu sagen.

Nach Dokumenten, die der Informant Edward Snowden der britischen Zeitung „Guardian“ zugeleitet hat, können US-Geheimdienste ohne richterliche Erlaubnis mit Hilfe des Suchprogramms XKeyscore „die große Mehrheit aller menschlichen Kommunikation“ überwachen. Anhand von pauschal gespeichertem Internet- und Telekommunikationsverkehr könne gezielt nach E-Mails, Chats, Facebook-Aktivitäten oder verschlüsselter Internet-Telefonie gesucht werden – und zwar in Echtzeit. Um den weltweiten Internet-Verkehr im Blick zu behalten, habe sich die NSA an 150 Standorten zu 700 Computer-Servern Zugang verschafft.

Die entstandenen Datenberge sprengen jede Vorstellung. Laut Snowden waren 2012 in einem Zeitraum von 30 Tagen über 40 Milliarden Einträge in der XKeyscore-Datenbank gebunkert. Snowden behauptet, dass jeder NSA-Analyst das Kommunikationsverhalten eines einzelnen Menschen bis ins kleinste Detail sichtbar machen kann.

Dagegen beteuerten die Spitzen der Geheimdienste im Rechtsausschuss des US-Senats, dass die Methode sehr sparsam eingesetzt werde (300 Fälle 2012) und nur ein ausgewählter Kreis richterlich kontrollierten Zugang besitze. Obama-Sprecher Jay Carney sekundierte: „Der Vorwurf flächendeckender, ungeprüfter Zugriffe auf NSA-Daten ist falsch.“ Belege lieferte er aber nicht.

Weißes Haus vollzieht Kurswechsel

Parteiübergreifend stießen die Erklärungen der NSA-Spitze auf Kritik. So sagte der demokratische Senator Patrick Leahy: „Ich glaube, dem amerikanischen Volk geht die Geduld aus.“ Leahy bezweifelt massiv die Angemessenheit und Effizienz der Ausspähprogramme.

Zuvor hatte NSA-Vize-Chef John Inglis erstmals bestätigt, was bislang hartnäckig abgestritten, von Snowden aber schon vor acht Wochen ins Bewusstsein gerufen wurde: Bei der vorbeugenden Anti-Terror-Abwehr gegen einen einzigen Verdächtigen geraten durch die Mit-Kontrolle aller Kontaktpersonen leicht zwei, drei oder vier Millionen unbescholtene Bürger ins Fadenkreuz der Geheimdienste. Ihre Daten werden ebenfalls erfasst und gespeichert.

Als „alarmierend“ bezeichnete es der demokratische Senator Ron Wyden, dass die NSA die auf Vorrat gehorteten Daten von Abermillionen Amerikanern auf Jahre in riesigen Datenbanken katalogisiere; in der Hoffnung, dass in einigen Jahren die Technologie vorhanden ist, um das Material auszuwerten. Wyden bekräftigte, dass oberste Geheimdienststellen das Volk bewusst im Unklaren lassen über die „Dimension und Zielsetzung der Überwachung“.

Weil auch die Republikaner in den Chor der Kritiker einstimmen, hat das Weiße Haus einen Kurswechsel vollzogen. Bislang bezeichnete die Regierung Obama die Spionage­programme als alternativlos im Kampf gegen den Terrorismus. Jetzt deutete ein Sprecher die Bereitschaft an, die Sicherheits-Architektur auf den Prüfstand zu stellen. Präsident Obama persönlich kam am Donnerstag mit Vertretern von Demokraten und Republikanern zusammen – aus Sorge, dass im Kongress erneut der Versuch unternommen werden könnte, die milliardenschweren Überwachungsprogramme der NSA finanziell auszutrocknen.

Das Weiße Haus hat einen Schwenk in der öffentlichen Meinung registriert. Nach einer Umfrage des Pew-Instituts halten inzwischen fast 50 Prozent der Amerikaner die Anti-Terror-Politik für übertrieben. 70 Prozent glauben, dass die Regierung die abgeschöpften Daten nicht nur benutzt, um Anschläge zu verhindern.

Dass NSA-Chef Keith Alexander jetzt schon beim „Feind um Vertrauen buhlt“, könne nur noch als „Akt der Verzweiflung“ gewertet werden, heißt es in Online-Foren. Hintergrund: Der General machte bei einem Sicherheitsforum Werbung für seine Überwachungs-Strategie und rief zur Mitarbeit auf: „Kommen Sie zu uns und helfen Sie mit. Wir stehen für Freiheit.“ Sein Publikum: 3000 Computer-Hacker. Sie reagierten mit Buh-Rufen.