Washington/Fort Meade.
Einige seiner mit Plakaten und Trillerpfeifen ausgestatteten Anhänger vor dem Absperrzaun von Fort Meade nahe Washington waren eigens aus Kalifornien angereist. Vergebens. Bradley Manning muss ins Gefängnis. Der 25-Jährige ist von Militärrichterin Denise Lind der Weitergabe von fast 750 000 Geheimdokumenten an die Enthüllungsplattform Wikileaks und weiterer 19 Strafttatbestände von Spionage bis Computerbetrug schuldig gesprochen worden. Ein El Kaida-Unterstützer ist er, wie die Anklage glauben machen wollte, jedoch nicht. Das genaue Strafmaß könnte schon heute verkündet werden.
Unkontrollierter Zugang zugeheimen Computer-Daten
Es war, bis Edward Snowden kam, der größte Geheimnisverrat in der amerikanischen Geschichte. Ein 22-jähriger Gefreiter, der ab 2009 als Geheimdienst-Analyst in der 2. Brigade der 10. Gebirgsdivision im Irak dient, hadert mit sich und dem Krieg, den er als verheerend wahrnimmt. Ein Angriff, bei dem US-Streitkräfte irrtümlich fast 150 Zivilisten töteten, bringt das Fass zum Überlaufen. Er hat unkontrollierten Zugang zu geheimen Computer-Daten der US-Regierung. Er kopiert diese Daten hunderttausendfach auf CDs. Er macht das Material mit Absicht im Februar 2010 WikiLeaks zugänglich. Julian Assange, der führende Kopf der Internet-Enthüllungsplattform, sortiert die digitale Bückware. Die New York Times, der britische Guardian und der Spiegel in Hamburg helfen ihm dabei. Und drucken über Tage das Enthüllte. So erfährt die Welt von internen Botschaftsplaudereien, von Folter im Gefangenenlager Guantanamo und im Irak. Und von Kriegsgräuel made in USA. Darunter das Video der tödlichen Jagd eines US-Kampfhubschraubers am 12. Juli 2007 auf ein unbewaffnetes TV-Team der Agentur Reuters in Bagdad.
„Ich glaubte, es könnte eine Debatte über unser Militär und unsere Außenpolitik auslösen“, begründet Datendieb Bradley Manning später seine Tat. Die Debatte über Militär und Außenpolitik blieb aus. Stattdessen ist Manning der erste prominente verurteilte Whistleblower des 21. Jahrhunderts.
Sein Verteidiger David Coombs hatte während der achtwöchigen Verhandlung mehrfach betont, dass der Gefreite Manning die Verantwortung für viele der ihm angelasteten Taten übernimmt. Nicht aber für den nach Militär-Code die Todesstrafe oder eine lebenslange Freiheitsstrafe begründenden Vorwurf von Staatsanwalt Ashton Fein, er habe absichtsvoll den Feind unterstützt; sprich: das Terrornetzwerk El Kaida. „Er war kein Humanist, er war ein Hacker. Er war keine bedrängte junge Seele, er war ein entschlossener Soldat mit dem Wissen, der Fähigkeit und dem Willen, den USA und deren Kriegsanstrengungen zu schaden.“ Coombs hielt dem entgegen, dass Manning ein Idealist sei, der seine Gewissensnot über das Geschehen im Irak mit der Öffentlichkeit teilen wollte. „Er war ein junger, naiver, aber wohlmeinender Soldat, der menschliches Leben und seine humanistischen Ansichten ins Zentrum seiner Entscheidungen rückte.“ Richterin Lind bewegte sich mit ihrem Urteil dazwischen. Den Feind-Vorwurf ließ sich fallen, die übrigen Delikte nicht. Sie reichen zusammen aus, um Manning rund 140 Jahre hinter Gittern verschwinden zu lassen.
Mannings Familietief enttäuscht
Manning wuchs in einer Kleinstadt in Oklahoma auf. Der Vater war meist abgängig, die Mutter trank. Nach der Scheidung zog er mit seiner Mutter nach Wales. Hier erlebte der später von Wegbegleitern als extrem intelligent bezeichnete Hänfling (1,57 Meter) zum ersten Mal Zurückweisung. Nach der Rückkehr in die USA trennt er sich von der Mutter, trieb ziellos umher, entdeckte und verleugnete seine Homosexualität. Beim Militär suchte er Anerkennung. Der Ausgang ist bekannt. Welchen Anteil seine im Prozess geschilderte persönliche Unreife und Labilität bei dem Geheimnisverrat spielte, ist dem Urteil nicht abzulesen.
Mannings Familie zeigte sich nach dem Urteil tief enttäuscht. Allein der „Freispruch“ vom Vorwurf, den Feinden Amerikas geholfen zu haben, stimme ein wenig versöhnlich, erklärten Verwandte.
Die Demonstranten vor den Toren des Militärkomplexes in Fort Meade wollen sich nicht mit dem Urteil abfinden. Bereits gestern traten sie ihre Weiterreise nach Washington an. Ziel: das Weiße Haus. Dort sitzt nach Ansicht von Wikileaks ein „gefährlicher nationaler Sicherheitsextremist“ - Präsident Barack Obama.