Berlin. . Ein Plagiatsjäger hat den zweiten Mann im Staat im Visier: Hat Bundestagspräsident Norbert Lammert bei seiner Dissertation auf Bücher verwiesen, die er gar nicht kannte? Seit Dienstag prüft die Bochumer Ruhr-Uni die Vorwürfe eines Bloggers.

Norbert Lammert ist nicht nur der zweite Mann im Staat, sondern auch ein Redner von besonderer Klasse und hohen moralischen Ansprüchen. So wunderten sich seine Zuhörer nicht, als der Bundestagspräsident mitten in der Plagiatsaffäre des damaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) scharf austeilte.

Die Affäre sei ein „Sargnagel für das Vertrauen in unsere Demokratie“, wetterte er damals vor SPD-Abgeordneten. Die Parlamentarier sollten Guttenberg mal fragen, wie viele Fehler er selbst in seiner Doktorarbeit entdeckt habe. Schon vorher hatte Lammert Vorwürfe, Guttenberg habe widerrechtlich Bundestags-Gutachten benutzt, als „deprimierend eindeutig“ bezeichnet.

Das harte Urteil fällt jetzt auf Lammert zurück. Der Bochumer CDU-Abgeordnete, dem schon eine dritte Amtsperiode als Bundestagspräsident nach der Wahl recht sicher schien, muss sich selbst gegen einen Plagiatsverdacht wehren – der ihn Amt und Reputation kosten könnten. Seit Dienstag überprüft die Ruhr-Universität Bochum die Vorwürfe gegen den promovierten Sozialwissenschaftler, auf seine Bitte hin.

Lammert hat möglicherweise weniger gelesen als er angibt

Ein Plagiatsjäger mit dem Pseudonym Robert Schmidt will in Lammerts 1974 eingereichter Dissertation „Lokale Organisationsstrukturen innerparteilicher Willensbildung – Fallstudie am Beispiel eines CDU-Kreisverbandes im Ruhrgebiet“ auf 42 Seiten Unregelmäßigkeiten festgestellt haben. „Hierbei handelt es sich vorwiegend, aber nicht ausschließlich um Plagiate“, schreibt der anonyme Blogger auf der Seite „lammertplag.worldpress.com“. Lammert gebe vor, eine Literaturrezeption geleistet zu haben, die er in diesem Umfang nicht selbst erbracht habe.

„Einen ganz erheblichen Teil der als verwendet angegebenen Literatur hat er ganz offenbar nicht gelesen; dies wird insbesondere anhand der Übernahme zahlreicher charakteristischer Fehler aus der Sekundärliteratur deutlich“, urteilt Schmidt. In seiner Arbeit verweise Lammert etwa auf ein Buch, das gar nicht existiert, oder ordne Begriffe dem falschen Autor zu.

Ein anderer Plagiatsjäger lobt Schmidts Arbeit

Doch wie schwer wiegen die Vorwürfe? Der Plagiatejäger Robert Heidingsfelder nimmt sie ernst. „Robert Schmidt hat die Unregelmäßigkeiten sehr gut dokumentiert“, sagte er. Die Berliner Informatikprofessorin Debora Weber-Wulff hält es für offen, ob man von einem Plagiat sprechen sollte oder von wissenschaftlichem Fehlverhalten wegen „Diskurssimulation.“ Eine „interessante, wissenschaftliche Frage“, sagte sie dieser Zeitung.

Dabei gibt es in Lammerts Dissertation möglicherweise noch weitere fragwürdige Passagen, bestätigt auch Heidingsfelder. Denn Blogger Schmidt hat nach eigenen Worten die Untersuchung nach einem Drittel der Seiten abgebrochen. Er habe da genug problematische Belegstellen gefunden, die nun eine offizielle Untersuchung rechtfertigen würden.

Die Uni Bochum begann am Dienstag mit der Prüfung

Die Uni Bochum, die Lammert 2008 sogar eine Ehrenprofessur verliehen hat, reagierte umgehend. Der Ombudsmann der Uni habe seine Arbeit aufgenommen und prüfe den Sachverhalt entsprechend den Richtlinien und unter Beteiligung der zuständigen Gremien, sagte eine Sprecherin der Hochschule. Die Universität will während des Verfahrens keine Kommentare abgeben. Im Fall der damaligen Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) hatte es rund zehn Monate gedauert, bis die Düsseldorfer Universität den Doktortitel aberkannte. Schaven trat zurück, reichte aber eine Klage gegen die Uni ein, über die noch nicht entschieden ist.

Die Vorwürfe sind ein Schlag für die NRW-CDU, deren Bundestags-Spitzenkandidat Lammert ist. Noch fallen die Kommentare aus der Politik aber zurückhaltend aus, durchweg auch in der Opposition: „Er hat meinen Respekt, es gilt die Unschuldsvermutung“, sagt etwa SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. „Ich warne vor Überspitzungen und Vorverurteilungen“, erklärt Linken-Vize Sahra Wagenknecht.

Lammert genießt Respekt – in allen Fraktionen

Der selbstbewusste Parlamentspräsident wird fraktionsübergreifend wegen seiner unabhängigen Amtsführung und moralischen Integrität geschätzt. In der Euro-Krise etwa hatte Lammert wiederholt die Koalitionsspitzen mit dem Verlangen auf breite Parlamentsbeteiligung oder dem Rederecht für Abweichler gepiesackt – in der CDU-Führung stört deshalb manchen der Gedanke, der Unbequeme könne erneut zum Präsidenten gewählt werden. Die Vorwürfe dürften diese interne Diskussion befeuern.

Lammert selbst hat versichert, er habe die Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen verfasst. Mehr sagt er nicht, er hat sich erstmal abgemeldet in den Sommerurlaub am Bodensee. Er hatte sich auf „gute Bücher“ gefreut, etwa die „Geschichte der Deutschen“ von Heinrich August Winkler. Jetzt hat wohl erst mal andere Lektüre für ihn Vorrang.