Essen. Roman Franz ist der Vorsitzende Verbandes der Roma und Sinti in NRW. Mit ihm redeten wir über Armutsflüchtlinge in den Städten des Ruhrgebietes, über mangelnde Integration und überraschende Parallelen zum Verhalten deutscher Urlauber am Ballermann auf Mallorca.
Der Zuzug von Roma aus osteuropäischen Ländern stellt Städte wie Dortmund und Duisburg seit einiger Zeit vor große Probleme. Über Möglichkeiten einer besseren Integration der Zuwanderer sprach Achim Beer mit dem Vorsitzenden des nordrhein-westfälischen Landesverbandes der deutschen Sinti und Roma, Roman Franz (64).
Herr Franz, wir wollten mit Ihnen über die Zuwanderung der Roma aus Südosteuropa sprechen. Allerdings leiten Sie den Verband der deutschen Sinti und Roma. Fühlen Sie sich überhaupt zuständig?
Roman Franz: Ja, wir sind nicht nur Ansprechpartner für deutsche Sinti und Roma. Auch viele ausländische Roma suchen unsere Beratungsstelle auf, und denen helfen wir natürlich mit. Wir kämpfen zum Beispiel schon seit Jahrzehnten gegen die Abschiebung von Roma aus dem früheren Jugoslawien.
Vielen sind die Unterschiede nicht so geläufig. Können Sie sie uns noch einmal erklären?
Franz: Wir Sinti leben seit 600 Jahren im deutschsprachigen Raum und sind deutsche Staatsbürger. Außerdem gibt es Roma, die ungefähr seit 150 Jahren hier leben, die sind auch deutsche Staatsbürger.
Hinzu kamen in den 90er-Jahren die Kriegsflüchtlinge aus dem Kosovo und jetzt die Armutsflüchtlinge aus den osteuropäischen EU-Ländern – die übrigens das Recht haben, zu uns zu kommen.
Unsere Politiker macht diese Einwanderung aber hilflos. Sie fordern Veränderungen zumeist dort, wo sie nicht zuständig sind – in den Herkunftsländern. Ist das nicht eine Alibi-Debatte?
Franz: Nein, das ist es nicht. Niemand verlässt gerne seine Heimat. Viele Roma in Osteuropa leben unter wahnsinnig schlechten Voraussetzungen. Wenn sie ihre Kinder überhaupt zur Schule schicken dürfen, dann werden die mit Steinen beworfen. Sie sind dort Freiwild. Es wäre sogar dringend geboten, dass zum Beispiel unser Staatsoberhaupt sich in Ländern wie Bulgarien, Tschechien oder der Slowakei dafür einsetzt, dass die Roma nicht in dieser Weise abgedrängt werden an den Rand der Gesellschaft und auf die Müllkippen.
Die Nachbarn der so genannten Roma-Häuser wie in Duisburg-Rheinhausen wird das nicht zufrieden stellen. Sie erleben jetzt haarsträubende Zustände und wollen Besserung.
Franz: Zunächst einmal: Die Zuwanderer haben in diesen Häusern gar nicht die Anlagen, die man für so viele Menschen bräuchte. Da leben ja manchmal fünf Familien in einer Wohnung, es gibt zu wenig Klos und Müllcontainer.
Dass dadurch Probleme entstehen und es die Nachbarn aufregt, ist zu verstehen. Die Stadt muss dafür sorgen, dass Container aufgestellt werden.
Was müsste aus Ihrer Sicht noch geschehen?
Franz: Man muss auf die Leute in den Häusern zugehen. Man muss sie fragen, wer bleiben will und wer nicht. Und dann muss man denen, die bleiben, Sprachkurse anbieten und die Möglichkeit, in andere Quartiere umzuziehen.
Wie ist Ihr Eindruck: Hört die Politik auf Ihre Vorschläge oder stoßen sie auf taube Ohren?
Franz: Die Politiker kommen uns sehr entgegen. Das ist heute ganz anders als noch vor 30 Jahren. Da hörte man noch überall: Geht dahin, wo ihr hergekommen seid – dabei kommen wir ja von hier, aber das habe ich ja erklärt. Heute kommen Politiker auch von sich aus auf uns zu und sind dankbar, wenn wir unsere Hilfe anbieten.
Trifft das Ihrer Einschätzung nach auf alle Parteien zu?
Franz: Leider gibt es auch heute noch einzelne Politiker, die mit „Das Boot ist voll“ und anderen Sprüchen Stimmung in den Medien machen.
Muss man nicht auch von den Bewohnern selbst verlangen, dass sie sich anders verhalten?
Franz: Natürlich muss jeder, der zu uns kommt, das Grundgesetz achten und darf nicht kriminell werden. Das ist klar. Aber wie viel Integration darf man darüber hinaus verlangen?
Ich empfehle einen Perspektivwechsel. Auch wenn man im Urlaub ist, muss man sich für kurze Zeit integrieren. Wie Deutsche am Ballermann lagern und feiern und „oben ohne“ herumlaufen, das ist eigentlich eine Beleidigung der Gastgeber. Aber da machen wir uns gar nichts draus.
Ist die Wahrnehmung der Roma hierzulande also durch Vorurteile verzerrt?
Franz: Die Menschen hier sind allem Fremden gegenüber voreingenommen. „Hängt die Wäsche weg, die Zigeuner kommen“ – die meisten sind doch mit solchen Sprüchen aufgewachsen, kennen sie aus der eigenen Familie. Es bessert sich erst langsam. Deutsche Sinti outen sich erst seit ungefähr zehn Jahren. Bis dahin war die Voreingenommenheit so stark, dass sie es einfach nicht taten.