Hagen.

Samuel Kunz saß am Ende nicht vor seinem irdischen Richter. 89 Jahre alt war der Bonner, als der Dortmunder Staats­anwalt Andreas Brendel ihn anklagen konnte. Kunz war Wachmann im NS-Vernichtungslager Belzec gewesen. „Alle Wachleute wussten Bescheid“, glaubt Brendel. Aber kurz vor Beginn des Prozesses, in dem sich der alte Herr ­wegen Beihilfe zum Mord verantworten sollte, ist Kunz ­gestorben. Das war 65 Jahre nach Kriegsende.

Die Wende von München

Dieser Tod hat Efraim ­Zuroff frustriert. „Die Tatsache, dass Kunz Jahrzehnte ungestraft in Deutschland leben konnte, ist das Ergebnis einer fehlerhaften Ermittlungsstrategie, die praktisch jeden Holocaust-Täter schonte, der kein Offizier war“, gab der Direktor des Simon Wiesenthal Centers in ­Jerusalem zu Protokoll. Das Wiesenthal Center hat sich zum Ziel gesetzt, die letzten Kriegsver­brecher zu überführen.

Heute kann Zuroff mehr denn je daran arbeiten, wenn auch, was mit dem Alter der alten Damen und Herren zu tun hat, „vielleicht noch zwei, drei Jahre“. 2011, so sagt der Amerikaner, habe es die „Landmark“ gegeben, den Wendepunkt in der deutschen Rechtsprechung: Das Landgericht München II verurteilte John Demjanjuk, einst Wachmann in Sobibor, wegen ­Beihilfe zum Mord in tausenden Fällen. Das Urteil erhielt, weil Demjanjuk starb, nie Rechtskraft. Aber es hat klar gemacht: Auch Wachleute der Vernichtungslager und Mitglieder der Einsatz­kommandos, die der Wehrmacht in die besetzten Gebiete folgten, um dort Juden zu töten, sind verantwortlich für den Holocaust. Tatsächlich hat der Vorgang deutsche Staatsanwälte mobilisiert, zu ermitteln. Im Frühsommer hatten sie je neun Verdachtsfälle in Bayern und ­Baden-Württemberg im Auge sowie vier in Nordrhein-Westfalen.

Für „Nazi-Jäger“ Zuroff ist das „Landmark“-Jahr 2011 der Anlass gewesen, seine „Operation Last Chance II“ zu starten, die letzte ­Suche. 5000 Hinweise hat er seither bekommen, 655 Verdächtige gefunden. In acht Fällen, nicht nur in Deutschland, sind die mutmaß­lichen Täter ins Raster der Justiz­behörden geraten.

„Wir fahnden nach Menschen, die wir noch nicht kennen“, sagt er. Freunde und Nachbarn könnten aber etwas wissen oder gehört ­haben. Sie sollen sich melden. Bis zu 25 000 Euro werden für Informationen aus­gelobt, die er aufgrund der großen Plakataktion erwartet. Sie beginnt am Dienstag in Berlin, Hamburg und Köln. 2000 Poster werden dort aufgehängt.

Schon drei neue Namen

Warum solch eine Belohnung? „Es geht gar nicht so sehr ums Geld“, sagt Zuroff, „aber die hohe Summe schafft die Aufmerksamkeit der Medien“. Und die brauche die Suche nach den letzten noch lebenden Tätern. Die Aktion jedenfalls ist schon vor ihrem Start gut angelaufen. Nach einer ersten Veröffentlichung in dieser Woche „haben wir schon drei neue Namen“, sagt Zuroff – Verdachtsfälle, die bisher unbehelligt ­leben. Zwei hier, ein Mensch in in den Niederlanden. Zuroff hofft auch, dass es endlich zu neuen Verurteilungen kommen kann.