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Der Frust sitzt tief. Versammelt haben sich „die Betroffenen der Energiewende“, wie es Michael Vassiliadis, der Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) formuliert. Es ist ein langer Tisch, den die NRW-Landesvertretung in Brüssel aufgestellt hat. Betriebsräte und Chefs großer Unternehmen sind angereist. Sie wollen sich Gehör verschaffen in Europas Politikszene, allen voran bei EU-Energiekommissar Günther Oettinger. Denn in Deutschland fühlen sie sich zunehmend unverstanden.
Vermittler ist ein Gewerkschafter
Ein wenig hat das Projekt, das den Namen „Innovationsforum Energiewende“ trägt, den Charakter einer Selbsthilfegruppe. Gründungsmitglieder sind Konzerne wie Bayer, BASF, BP, Continental, Eon, Evonik, Lanxess, RAG, RWE, Steag, Trianel oder Trimet. Moderator der Runde ist ausgerechnet ein Gewerkschafter: Michael Vassiliadis. Er wolle „Mittler sein“ zwischen Politik und Industrie, sagt er. Klar wird aber auch: Vassiliadis hat viel Verständnis für die Industrie: „Sie trifft auf eine große Koalition der Ignoranz“, sagt er. Das ändere sich zwar gerade ein bisschen, aber noch nicht genug.
Auch BASF-Arbeitsdirektorin Margret Suckale ist nach Brüssel gereist. Sie habe den Eindruck, in Brüssel werde zuweilen eine industriefeindliche Stimmung geschürt, sagt die Managerin des Chemiekonzerns aus Ludwigshafen. Als Beispiel nennt sie die Diskussion über die Kohlendioxid-Zertifikate, für die Unternehmen künftig mehr bezahlen sollen. „Wir können unser Geld auch nur einmal ausgeben“, mahnt Suckale.
Es geht auch um die Frage, wo die Konzerne künftig investieren – in Deutschland oder im Ausland. Continental-Vorstand Heinz-Gerhard Wente sagt freimütig: „Der Druck wegzugehen, ist natürlich da.“ Und RWE-Manager Johannes Lambertz gibt zu bedenken, anders als allgemein vermutet seien die weltweiten Preise für fossile Brennstoffe wie Kohle nicht gestiegen, sondern gesunken. Das hat auch Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit der erneuerbaren Energien. Für Solar- und Windstrom gibt es allerdings eine garantierte Vergütung. So sieht es das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) vor. Notfalls müssen die Verbraucher über die Ökostrom-Umlage draufzahlen. Tatsächlich ist die EEG-Umlage schon massiv gestiegen. Die Branche rechnet fest mit einer weiteren Kostenexplosion.
Viele Manager haben sich damit abgefunden, dass es aller Voraussicht nach vor der Bundestagswahl im September keine großen Entscheidungen zur Energiepolitik mehr geben wird. „Vorher passiert nichts“, sagt RAG-Chef Bernd Tönjes. „Die große Frage ist: Was passiert danach?“
EU-Energiekommissar Günther Oettinger nimmt sich viel Zeit für die Manager und Betriebsräte. Auch Oettinger zeigt sich besorgt um die deutsche Industrie. „Schon jetzt ist absehbar: Die Strompreise in Deutschland werden weiter steigen“, sagt er am Rande des Treffens. „Eine wesentliche Ursache dafür ist das EEG. Hier sind Korrekturen erforderlich, wenn die Grenze des Vertretbaren nicht überschritten werden soll.“
Gespräche statt Entfremdung
Unnötige Kosten sollten vermieden werden, etwa die inzwischen zu starke Förderung von Photovoltaik-Anlagen. „Es kann doch nicht sein, dass Strom zum Luxusgut wird. Zudem laufen wir Gefahr, dass wichtige Investitionen der Industrie künftig außerhalb Deutschlands getätigt werden.“
Vassiliadis hat sich vorgenommen, weitere solcher Gespräche zu organisieren, damit die Entfremdung nicht noch zunimmt. „Es gibt dringenden Bedarf, aus der Sackgasse zu kommen“, sagt der Gewerkschafter.