Kiew. . Insbesondere der Fall der inhaftierten ehemaligen Regierungschefin Julia Timoschenko belastet Verhandlungen über den Eintritt der Ukraine in die Europäische Union. Der ukrainische Ministerpräsident Mykola Asarow sagt im Gespräch, Timoschenko sei selbst schuld an ihrer Situation.

Die Ukraine drängt es in die Europäische Union. Im Herbst soll als ein erster Schritt ein so genanntes Assoziierungs-Abkommen unterschrieben werden. Es gibt in der EU allerdings Bedenken. Insbesondere der Fall der inhaftierten ehemaligen Regierungschefin Julia Timoschenko belastet die Verhandlungen. Der ukrainische Ministerpräsident Mykola Asarow sagt im Interview, Timoschenko sei selbst schuld an ihrer Situation – und verweigere sich einer Lösung.

Herr Premierminister, warum braucht die Ukraine die europäische Union?

Mykola Asarow: Wir erwarten uns von einer Annäherung Vorteile für unsere Wirtschaft. Wir hoffen auf eine engere Zusammenarbeit in Branchen wie Informationstechnologie, Pharmazeutik oder Maschinenbau. Die Assoziierung mit der Europäischen Union kann uns aber bei der Modernisierung des Landes nicht nur im industriellen Bereich helfen, sondern auch bei der politischen Transformation des Landes. Wir stehen vor gesellschaftlichen, politischen und juristischen Reformen. Wir wollen die EU aber nicht idealisieren.

Was heißt das?

Asarow: Die Tatsache, dass Länder wie Spanien, Portugal oder Griechenland Mitglieder der EU sind, hat sie nicht davor bewahrt, jetzt Krisen durchzumachen. Die derzeitigen Strukturen der Europäischen Union sind also kein Garant für den Erhalt der wirtschaftlichen oder politischen Stabilität. Ich glaube, das ist den europäischen Politikern klar geworden. Das ist auch uns sehr bewusst geworden. Aber der Assoziierungsprozess wird länger dauern. Im Verlaufe dieses Prozesses werden wir die Punkte berücksichtigen, die für uns nicht passend sind.

Die EU stellt Ihnen eine ganze Anzahl von Bedingungen. Wäre es für Sie nicht einfacher, den Schulterschluss mit Russland zu suchen?

Asarow: Mit Russland werden wir natürlich auch zusammenarbeiten. Das ist für uns sehr wichtig, 40 Prozent unseres außenwirtschaftlichen Handelsvolumens laufen über Russland. Und was die Bedingungen angeht, die wir mit der EU aushandeln: Die entsprechen in erster Linie unseren Interessen. Ein Beispiel: Wir reden über die Reform unserer Staatsanwaltschaft, darüber, dass Verteidiger die gleichen Rechte bekommen wie die Ankläger. Das ist genau das, was wir wollen. Wir brauchen keine Strukturen aus der Stalinzeit mehr, in denen das Schicksal von Menschen von vornherein bestimmt ist. Aber wir sind natürlich keine Schüler, die irgendeine Prüfung bei der EU ablegen müssen .

Ist die EU ein fairer Verhandlungspartner – oder werden an Ihr Land strengere Maßstäbe angewandt, als andere Staaten?

Asarow: Die EU ist nicht nur eine Person. Es sind ganz unterschiedliche Menschen und wir haben ganz unterschiedliche Verhandlungsebenen. Einige verstehen unsere Situation sehr gut. Auf der anderen Seite gibt es Verhandlungspartner, die meinen, uns belehren zu können. Wir verhalten uns als Vertreter eines großen europäischen Landes, denen die Interessen ihres Landes sehr bewusst sind.

Fühlen Sie sich von Deutschland ausreichend unterstützt?

Asarow: Ich will kein Land aus den 28 herausgreifen. Ich möchte nur hervorheben, dass unter den EU-Ländern, die die Ukraine aktiv unterstützen, vor allem unsere Nachbarländer sind. Vor allen Dingen Länder, mit denen wir seit vielen Jahren gute Beziehungen pflegen, wie Polen, Litauen, Estland, Lettland, die Slowakei, die Tschechische Republik, Ungarn. Das sind eben die Länder, die ihrerseits den ganzen Weg durchgemacht haben, und die uns deshalb gut verstehen.

Die EU sagt, dass Julia Timoschenko bedingungslos freigelassen werden muss.

Asarow: Das ist keine politische Frage. Es ist eine rein juristische Frage. Diese Frage kann nur auf juristischem Weg gelöst werden. Niemand im Land kann das geltende Recht brechen und diese Frage auf politischem Wege lösen. In diesem konkreten Fall wäre es angebracht, wenn Timoschenko gut mit uns zusammenarbeiten würde. Das Problem wurde nicht vom Staatspräsidenten oder der Regierung geschaffen. Das Problem hat die ukrainische Staatsbürgerin Frau Timoschenko geschaffen.

Inwiefern das?

Die inhaftierte Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko. Bild: dpa
Die inhaftierte Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko. Bild: dpa

Asarow: Sie hat als Ministerpräsidentin Straftaten begangen und wurde deswegen verurteilt. Sie wurde von niemandem gezwungen, Papiere der Regierung zu fälschen, und sie wurde auch nicht gezwungen, einen Gasliefer-Vertrag mit äußerst ungünstigen Bedingungen für die Ukraine zu unterzeichnen, so dass das Land einen immensen Schaden davon hatte. Also: Das Problem hat sie geschaffen. Sie müsste sich eigentlich an der Lösung beteiligen. Sie könnte zum Beispiel ihre Schuld anerkennen und den Schaden zumindest teilweise wettmachen. Das würde rechtliche Voraussetzungen schaffen für die juristische Lösung des Problems.

Timoschenko sagt, sie sei aus rein politischen Gründen inhaftiert.

Asarow: Wir haben früher Erdgas für 180 Dollar pro 1000 Kubikmeter gekauft, heute zahlen wir 530 Dollar. Stellen Sie sich vor, Ihre Bundeskanzlerin Frau Merkel würde so etwas für die Bundesrepublik tun. Der Bundestag stimmt gegen einen Vertragsabschluss, die Regierung ist auch dagegen, aber Merkel unterzeichnet den Vertrag trotzdem, und dann entstehen sieben Milliarden Dollar Mehrkosten pro Jahr – was würde dann wohl passieren?

Warum ist es so schwer, eine Lösung für diesen Fall zu finden?

Asarow: Ich würde mir wünschen, dass wir die Frage so oder so lösen. Diese Situation ist nicht nachvollziehbar. Uns wird gesagt: „Ihr müsst sie freilassen“ – aber es wird nicht gleichzeitig gesagt, wie wir das machen sollen. Sollte man vielleicht ein neues Gesetz beschließen oder das bestehende Recht brechen? Das stößt auf unser Unverständnis. Wie sollen wir das anstellen? Man kann jedes beliebige Staats- oder Regierungsoberhaupt in Europa fragen, ob man das Gesetz brechen soll – die Antwort kann man sich ja vorstellen. Die würden alle antworten, wie wir antworten.