Brüssel. . Jean-Claude Juncker, mit mehr als 18 Amtsjahren dienstältester Regierungschef der Europäischen Union, tritt zurück. Ein Untersuchungsausschuss des Parlaments wirft Juncker vor, er habe den hyperaktiven Geheimdienst des 500.000 Einwohner zählenden Großherzogtums nicht gut genug kontrolliert. In den kommenden drei Monaten soll neu gewählt werden.

Nachdem in Luxemburg die Regierung von Ministerpräsident Jean-Claude Juncker wegen einer Geheimdienstaffäre zurückgetreten ist, steht das Land vor Neuwahlen. Juncker sagte am Mittwochabend nach einer hitzigen Debatte im Parlament, er wolle der Forderung seines Koalitionspartners nachkommen und vorgezogene Parlamentswahlen ansetzen. Er werde das Kabinett am Donnerstag um 10 Uhr einberufen und danach dem Staatsoberhaupt Neuwahlen vorschlagen.

Damit zog der 58-Jährige die Konsequenz aus einem Geheimdienstskandal. Der sozialdemokratische Koalitionspartner hatte Juncker wegen der Affäre zu dem Schritt gedrängt. Nun steuert das Großherzogtum auf Neuwahlen binnen drei Monaten zu. Regulär wäre das Parlament erst im Mai 2014 neu gewählt worden. Unklar blieb, ob Juncker bei der Wahl erneut antreten wird.

Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss hatte dem seit 18 Jahren regierenden Juncker mangelnde Aufsicht über den Nachrichtendienst vorgeworfen. Dem werden unter anderem illegale Abhöraktionen gegen Politiker und Schmiergeldzahlungen zur Last gelegt. Auch der sozialdemokratische Koalitionspartner stimmte im Ausschuss gegen Juncker, der dienstältester Ministerpräsident in der Europäischen Union ist. Damit war das vorzeitige Ende der Koalition aus Junckers Christlich-Sozialer Volkspartei (CSV) und den Sozialdemokraten programmiert.

Dabei ist es erst ein halbes Jahr her, dass Jean-Claude Juncker seinen Hut als "Mister Euro" nahm. Acht Jahre hatte er die mächtige Eurogruppe geleitet, und als versierter Strippenzieher die europäische Krisenpolitik mitgestaltet. "Es ist mir in den letzten Monaten ein bisschen zu bunt geworden", sagte er damals lapidar, er wolle sich nun ganz auf sein Amt als luxemburgischer Ministerpräsident konzentrieren. Nun ist ihm eine Geheimdienstaffäre im eigenen Land zum Verhängnis geworden.

Der schlitzohrige und gleichermaßen empfindsame Juncker hatte sich zuvor im Parlament vehement gegen einen Rücktritt gestemmt und alle Vorwürfe in dem Abhörskandal über illegale Gesprächsmitschnitte zurückgewiesen, obwohl eine Untersuchungskommission ihm zuvor die politische Verantwortung für die Vorgänge gegeben hatte.

Für die EU hatte schon Junckers Rücktritt vom Eurogruppenvorsitz eine neue Ära eingeleitet. Unter seiner Verhandlungsführung waren die Hilfspakete für Griechenland, Irland, Portugal und Spanien geschnürt, der dauerhafte Euro-Rettungsfonds ESM aus der Taufe gehoben sowie zahlreiche Konflikte der Euro-Länder um den richtigen Krisenkurs ausgetragen worden.

Juncker könnte es in Zukunft wieder nach Brüssel ziehen

Als "Mister Euro" hatte sich Juncker bis an die Grenzen der körperlichen und psychischen Belastbarkeit für die Einheitswährung und die Solidarität mit den Krisenländern eingesetzt. Und scheute dabei auch nicht die Konfrontation mit Berlin. Der Bundesregierung warf er vor, mit der Eurokrise andauernd Innenpolitik zu machen. Die deutsche Debatte über einen Austritt Griechenlands kritisierte er als "Geschwätz". Ein EU-Politiker sagte einmal: "Juncker hat zwei katastrophale Fehler: Er hat einen Standpunkt, und er vertritt diesen auch."

Zu diesen Standpunkten gehört auch, dass er ein bedingungsloser Europäer ist. Geboren am 9. Dezember 1954 im luxemburgischen Redingen, wuchs Juncker in eher bescheidenen Verhältnissen als Sohn eines christlich geprägten Stahlarbeiters auf. Sein Vater wurde im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Wehrmacht zwangseingezogen, erzog seinen Sohn aber "ausgesprochen deutschfreundlich", wie der selbst berichtete. Für das Jurastudium zog es den fließend Deutsch, Französisch, Englisch und natürlich Letzeburgisch sprechenden Juncker nach Straßburg.

Im Anschluss legte er eine Blitzkarriere hin, wurde mit nicht einmal 30 Jahren Minister für Arbeit und Haushalt für seine christlich-soziale Partei CSV. Als Jacques Santer als Kommissionspräsident nach Brüssel wechselte, rückte Juncker Anfang 1995 an die Spitze der luxemburgischen Regierung.

Auch nach seinem Rücktritt von der Eurogruppe hebt Juncker weiterhin mahnend die Stimme. So klagte er nach dem jüngsten EU-Gipfel, der wenig Ambitionen zur Belebung der Wirtschaft erkennen ließ, die Krise sei noch lange nicht überwunden. Und wer den 58-Jährigen eine Weile in Brüssel beobachtet hat, kann sich gut vorstellen, dass es ihn nach dem Ausscheiden aus der Regierungsverantwortung in Luxemburg genau dorthin ziehen könnte. 2014 wird ein Nachfolger für den wenig charismatischen EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy gesucht. (afp/dpa/rtr)