Hagen. .

Für die Betroffenen ist es ein verzweifelter Wettlauf gegen den Tod, den viele verlieren. 2012 sind alleine 518 Menschen gestorben, weil sie nicht rechtzeitig eine neue Leber bekommen haben. Die Manipulationsskandale um die Vergabe von Lebern haben die Brisanz noch verstärkt, weil die Spendenbereitschaft gesunken ist. Doch wer soll in Anbetracht des Mangels eine Leber bekommen? Der schwerstkranke Alkoholiker oder eher eine etwas gesündere Person mit höherer Überlebenschance?

Über Verteilungsgerechtigkeit wurde in Deutschland bislang kaum gesprochen. Dies mag daran liegen, dass die Rettung des einen den Tod eines anderen Patienten bedeuten kann. Doch nun wächst der Druck für eine Reform des Vergabeverfahrens, das sich nicht recht bewährt hat. Im Herbst will die Ständige Kommission Organtransplantation (StäKO) der Bundesärztekammer nach besseren Wegen suchen.

Kriterien widersprechen sich

Die Vermittlungsstelle für Organspenden, „Eurotransplant“, entscheidet anhand von Richtlinien der StäKO, welcher Patient zum Beispiel eine Leber bekommt. Nun verlangt das Transplantationsgesetz, dass sich die Auswahl nach Dringlichkeit und Erfolgsaussichten richtet. Diese Kriterien „widersprechen sich prinzipiell“, sagte Wolf Bechstein, Präsident der Deutschen Transplantationsgesellschaft, dieser Zeitung. Je kränker ein Patient ist, desto schlechter sind die Überlebenschancen mit einem neuen Organ.

Ausschlaggebend für die Vergabe ist die Position auf der Warteliste, die sich nach dem MELD-Score richtet. Er setzt sich aus zwei Leberwerten sowie einem Nierenwert zusammen und geht bis 40 Punkte. In Deutschland bekommt ein Patient in der Regel ab 35 Punkten eine neue Leber. Da ist er schwer krank. Ohne ein Spenderorgan läge die Wahrscheinlichkeit bei 80 Prozent, dass er binnen drei Monate stirbt.

Verschärfend kommt hinzu, dass Patienten bei manchen Krankheiten nur zwei anstatt drei schlechte Werte haben. Sie kommen nicht auf 35 Punkte. „Es gibt Patienten, die beim MELD-Score nicht adäquat abgebildet werden“, sagte Bechstein. Zwar können sie auf anderem Wege in der Warteliste nach oben rutschen. Aber ob das am Ende ausreicht? So geißelte der „Spiegel“ unlängst die Organvergabe in Deutschland als „tödliches System“.

Mehr Spender in den USA

In den USA hingegen verpflanzen Chirurgen Lebern bei einem MELD-Score um die 20 Punkte. Dort gibt es mehr Organspender. Während 26 von einer Million Einwohnern ihre Organe spendeten, waren es in Deutschland 2011 nur 14,7. „Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir die Erfolgsaussicht im Vergabeverfahren etwas stärker gewichten können“, sagte der StäKO-Vorsitzende Hans Lilie dieser Zeitung. Sollte das Vergabeverfahren künftig gesündere Personen bevorzugen, dürfte dies auf Kosten der Schwerstkranken gehen. Aus Bechsteins Sicht wäre dies ein gangbarer Weg: „Einem Patienten mit chronischer Leberzirrhose, der auf der Intensivstation mit künstlicher Beatmung liegt, Dialyse erhält und zwingend Kreislaufmittel braucht, sollte man keine Leber mehr transplantieren.“ Auch Harald Terpe, Fachpolitiker der Grünen, wehrt sich gegen Transplantationen, „die den Patienten am Lebensende nur noch zusätzlich belasten“.

Der Patientenbeauftragte der Regierung, Wolfgang Zöller (CSU), möchte statt der Verteilungsdebatte mehr Effizienz im System. „In Deutschland werden etliche Spendermöglichkeiten nicht genutzt, weil in den Entnahmekrankenhäusern die Voraussetzungen nicht ausgeschöpft werden“, sagte Zöller. Aus seiner Sicht könnte man die Spenderzahlen verdoppeln, wenn die Organisation in den Kliniken besser wäre. Ob dies den Mangel beheben kann? Kaum. Laut Deutscher Stiftung Organtransplantation gab es im ersten Quartal 2012 noch 236 postmortal gespendete Lebern und im selben Zeitraum 2013 nur 207.