Essen. Mehr als 50 Jahre nach der Hinrichtung des NS-Verbrechers Adolf Eichmann rückt der Organisator der NS-Judenvernichtung wieder in den Blick. Hintergrund ist ein Ersuchen von Journalisten. Der Bundesgerichthof hat jetzt den vollen Einblick in den Akten verweigert. Sollen Hintergründe vertuscht werden?
Ricardo Klement hatte gegen die Kidnapper keine Chance. Am 11. Mai 1960 haben sie den kleinen argentinischen Mercedes-Angestellten in San Fernando bei Buenos Aires überfallen. Über Punta del Este brachten sie „Attila“, so der Ziel- und Tarnname der Entführungsoperation, im Flugzeug der El Al nach Tel Aviv. Denn die Entführer waren Profis von Israels Geheimdienst. Und Klement? Er war im früheren Leben der Todeslager-Profi der Nazis. Sein wahrer Name: Adolf Eichmann.
Eichmann war der Organisator des Völkermordes an sechs Millionen Juden. 15 Jahre hat er sich der Ahndung seiner Taten entziehen können. Am 31. Mai 1962 starb er – nach dem Todesurteil des Jerusalemer Bezirksgerichts – am Galgen. Der Eichmann-Prozess erregte weltweit Aufsehen.
Doch warum hat der Mann so lange unbehelligt in Südamerika leben können? Wer schützte ihn? Was wussten Behörden der jungen Bundesrepublik über das argentinische Versteck Eichmanns alias Klement?
Berlin räumt zahlreiche Hinweise ein
Die letzten Geheimnisse dazu liegen immer noch in den Archiven. Möglicherweise bleiben sie dort. Denn die „Bild“-Zeitung hat jetzt, mehr als 60 Jahre nach den Ereignissen von San Fernando, vor dem Bundesverwaltungsgericht erzwingen wollen, dass der Bundesnachrichtendienst alle Akten zum Fall Eichmann öffnet. Ungeschwärzt. Die Überraschung: In dieser Woche ist die Redaktion mit dem Antrag gescheitert. Die Bundesrichter glauben 68 Jahre nach Kriegsende, einer Veröffentlichung stünden noch Geheimhaltungsinteressen des deutschen Staates entgegen.
Dabei räumt die Bundesregierung an anderen Stellen schon viel ein. Punkt für Punkt gibt sie den Grünen auf eine Bundestagsanfrage Antworten. Die besagen: Eichmann war kein Phantom.
Eichmann-ÜbersetzerinVieles war bekannt
So hatte der gerade gegründete Bundesnachrichtendienst 1952 „die Information, dass sich Adolf Eichmann möglicherweise unter dem Decknamen ,Clemens’ in Argentinien aufhalte und seine Adresse beim Chefredakteur der argentinischen Zeitung ,Der Weg’ bekannt sei“. Auch war bekannt, „dass nicht nur wenige und zudem unbedeutende Personen mit NS-Vergangenheit nach Argentinien ausgereist“ waren. 1958 erhielt der Verfassungsschutz den Hinweis, „ein Karl Eichmann, während des Dritten Reichs Organisator der Judendeportationen, sei unter dem Namen Clement über Rom nach Argentinien geflohen“.
Die Verfassungsschützer gaben damals die Notiz an das Auswärtige Amt weiter. „Die Bundesregierung ersuchte die Botschaft in Buenos Aires um Nachforschungen“, heißt es in der Bundestagsdrucksache 17/13563. Diese ergaben, „dass sich der Gesuchte vermutlich im Nahen Osten aufhalte“. Fest stehe: Trotz der Hinweise sei „keine Fahndung eingeleitet worden“.
Wer verhinderte die Fahndung?
Warum diese Ignoranz? Eine große Rolle spielen die beteiligten Personen. Hermann Terdenge und Werner Junker zum Beispiel, die deutschen Botschafter in Argentinien in den 1950er-Jahren. Junker war im Krieg in Jugoslawien Mitarbeiter eines später verurteilten Kriegsverbrechers gewesen. Da war auch Paul Dickopf, Vize im Bundeskriminalamt. Es gibt Hinweise, dass der frühere SS-Mann auf den Fahndungsverzicht gedrängt haben soll.
Gibt es Gründe, die vielen unbeantworteten Fragen im Dunkeln zu lassen? Die Aktenfreigabe wird von der heutigen Bundesregierung mit dem Hinweis verweigert, dass in den Papieren Einschätzungen über andere Staaten wiedergegeben würden. Veröffentlichungen könnten der „Reputation“ des BND schaden.
„Bild“ will vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Die letzte Instanz soll auch das letzte Urteil im Fall des Massenmörders Adolf Eichmann fällen.