London/Berlin/Peking. .

Sind Großbritanniens Dienste noch überwachungswütiger als ihre amerikanischen Kollegen? Dies legen neue Enthüllungen nahe, die der flüchtigen Informanten Edward Snowden in einem Interview mit dem britischen „Guardian“ offen gelegt hat. Demnach zapfen die Briten in großem Stil Glasfaserkabel an und übermitteln Daten an den US-Geheimdienst NSA. Trotz des gigantischen Ausmaßes ließ die Enthüllung Politik und Medien in London am Wochenende bemerkenswert kühl: Obwohl Hunderte Millionen Internetnutzer betroffen sein sollen – darunter auch viele Deutsche – kam aus der Politik auf der Insel kaum eine Reaktion.

Dafür äußerten sich deutsche Politiker umso reger: Regierung wie Opposition verlangten von London Aufklärung. Berlin nehme den Zeitungsbericht „sehr ernst“, sagte Regierungssprecher Georg Streiter der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (F.A.S.). Unionsfraktionschef Volker Kauder sagte der „Welt am Sonntag“: „Wenn das berichtete Ausmaß der Datenüberwachung so stimmt, wäre dies nicht akzeptabel.“

Die Londoner Politik schweigt

London müsse die europäischen Partner „umfassend und schnell“ unterrichten, sagte Kauder. Zwar seien zur Abwehr terroristischer Gefahren große Anstrengungen notwendig. „Auf der anderen Seite müssen die Rechte der Bürger gewahrt werden.“ Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte der Zeitung, der Kampf gegen den internationalen Terrorismus rechtfertige keine „systematische und flächendeckende Überwachung unser aller Kommunikation durch Geheimdienste, egal ob amerikanische oder britische“.

Die SPD fordert ihrerseits von der Bundesregierung Aufklärung über das Abhörprogramm. „Die Vorwürfe klingen so, als ob der Überwachungsstaat von George Orwell in Großbritannien Wirklichkeit geworden ist. Das ist unerträglich“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, der „F.A.S.“. „Die Bundesregierung muss diese Vorwürfe aufklären und gegen eine Totalüberwachung von deutschen Bürgern vorgehen“, sagte Oppermann.

Während die Londoner Politik schweigt, heißt es vom Geheimdienst GCHQ, man halte sich „kompromisslos“ an die juristischen Vorgaben. Dass das wohl stimme, schreibt selbst der „Guardian“.

Datenschutz-Aktivisten betonen allerdings, dass diese Gesetze aus dem Jahr 2000 stammen. Damals habe noch keiner ahnen können, in welchem Ausmaß die weltweite Datenmenge explodieren würde, und welche neuen Techniken den Geheimdiensten zum Sammeln zur Verfügung stehen könnten. So werden heutzutage täglich Millionen Gespräche über Internetdienste wie Skype geführt, statt über die klassischen Telefonleitungen.

Weitere Enthüllungen

Eine weitere Enthüllung setzt erneut die USA unter Druck: So berichtet Snowden in einem Interview mit der Hongkonger Zeitung „South China Morning Post“ von einem Hacker-Angriff auf die Tsinghua-Universität in Peking. Der Geheimdienst habe auf eines der sechs großen Netzwerke des Landes gezielt: das Bildungs- und Forschungsnetzwerk CERNET. Es war einst das erste Internet-Netzwerk in China und hat sich zum größten Forschungsnetz entwickelt. Bei dem Angriff im Januar seien allein an einem Tag Server gehackt worden, berichtete Snowden.