Berlin. Es war die rhetorisch große Rede, die Barack Obama auf dem Pariser Platz vor 4000 geladenen Gästen gehalten hat. Seine erste Rede als US-Präsident in Berlin. 50 Jahre nach der von J.F. Kennedy. Vergleichbar sind sie allein wegen der völlig unterschiedlichen historischen und politischen Ausganglagen nicht. Weder die Präsidenten, noch die Reden. Ein bedeutsamster Unterschied: Kennedy sprach 1963 von Westberliner Boden gen Osten. Obama tat dies gestern von Ost nach West – durch ein von der Mauer befreites Brandenburger Tor.
Die Realpolitik im eigenen Land hat Obama sichtlich ergrauen lassen. Der Stern, der 2008 vor der Siegessäule noch mehr als 200 000 begeisterten Menschen strahlte, ist zusehends verblasst. Skepsis hat sich breit gemacht gegenüber Obamas politischer Durchsetzungskraft. Seinem politischen Talent für die Orientierung auf tragbare Kompromisse. Die Konservativen stellen ihm bei fast jedem seiner aus politischer Überzeugung geborenen Vorhaben ein Bein: Gesundheitsreform, restriktives Waffenrecht.
Auch auf internationalem Parkett hat der den Friedensnobelpreis tragende US-Präsident an Strahlkraft verloren. Durch den völkerrechtswidrigen Drohnen-Krieg, durch globale Datensammelmanie des US-Geheimdienstes, durch die beabsichtigte Waffenlieferung an syrische Rebellen, durch das Scheitern seines großmundigen angekündigten Versuchs, den Horror-Knast in Guantanamo endlich zu schließen.
Zu alldem hatte Obama gestern nicht viel Substanzielles zu bieten: Die Guantanamo-Schließung sei schwieriger als gedacht, in Syrien strebe auch er eine Verhandlungslösung an und der US-Geheimdienst werde die Privatsphäre der Deutschen achten. Fertig. Das war’s. Zu wenig, um den Glaubwürdigkeitsverlust zu kompensieren.
Der Herzensgewinner
Und dennoch bleibt es dabei: Obama gelingt es, mit Reden, mit großen Botschaften, einnehmenden Visionen zu glänzen. Als begnadeter Redner, als Herzensgewinner. So poliert er mit der medialen Wirkung seiner Auftritte im eigenen Land seinen ziemlich angelaufenen Glanz selbst auf. Auch gestern in Berlin. Natürlich punktet er mit der Ankündigung einer Initiative für den Abbau der atomaren Waffenarsenale. Mit seinem Bekenntnis zum transatlantischen Bündnis, zu Europa mit Deutschland als wichtigstem Partner, zu einer gigantischen Freihandelszone, mit dem Plädoyer für Menschenwürde, gegen Ungleichheit, für Freiheit und Toleranz, gegen den Klimawandel ebenso.
Letztlich war die Stippvisite Obamas in Deutschland ein reichlich lockerer Arbeitsbesuch bei Freunden. Bei einem strahlenden Bundespräsidenten Gauck und einer zu freundschaftlichen Küsschen bereiten Kanzlerin Angela Merkel. Sie mögen Barack Obama. Die große Mehrheit der Deutschen mag ihn. Und er – nimmt man sein gewinnendes Lächeln und seine Körpersprache als Maßstab – mag sie ebenso.
Übrigens: Merkel, die die Big-Brother-Aktion des US-Geheimdienstes kritisch ansprach, steht im Wahlkampf. Und da kommen die schönen Bilder mit Obama sehr gelegen – um Steinbrück und die SPD gänzlich abzuhängen.
Kurz bevor Obama auf dem Pariser Platz eintraf, wurde dort Tina Turners „Simply the best“ gespielt. Falls dieser Titel für eine politische Bewertung Obamas herhalten soll, dann wird dieser so sympathisch wirkende Präsident der USA noch mutig, kräftig und entschlossen nach- und zulegen müssen.