Berlin. . Man muss nicht gegen die Homo-Ehe sein, um die Hetero-Ehe zu retten: Vor der Bundestagswahl skizzieren die Protestanten ein weit gefasstes Familienbild. In ihrer neuen „Orietierungshilfe“ für Familien wird die Ehe als eine Familienform unter vielen beschrieben.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) revolutioniert ihr christliches Familienbild. Nicht nur die traditionelle Ehe gilt ihr als schützenswert, sondern alle Lebensformen, in denen Zuwendung, Liebe und Verantwortung gelebt werden: „Familie, das sind auch Patchwork-Familien, die durch Scheidung oder Wiederverheiratung entstehen, kinderlose Paare und gleichgeschlechtliche Paare mit oder ohne Kinder“.

In der „Orientierungshilfe“ für Familien, die EKD-Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider am Mittwoch vorstellte, plädiert seine Kirche für einen Kurswechsel in der Familienpolitik und warnt vor einem zu engen Verständnis von Familie. Damit trägt die evangelische Kirche der gewandelten Lebenswirklichkeit vieler Partner, Paare und Familien Rechnung und öffnet sich für Menschen, die sich in einem traditionellen kirchlichen Eheverständnis nicht wiederfinden.

14-köpfige Expertenkommission arbeitete drei Jahre lang an dem Werk

Das 160 Seiten starke Werk trägt den Titel „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit. Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ und wurde von einer 14-köpfigen Expertenkommission in dreijähriger Arbeit erstellt. Dabei gehe es nicht um eine reine Anbiederung an den Zeitgeist oder eine relativierende Anpassung religiöser Werte an eine sich verändernde Gesellschaft, betonte Schneider.

„Es ging um eine Bestandsaufnahme der Wirklichkeit von Familien, aber auch um die Bedeutung biblischer Texte für unser Familienbild“. Schneider, der vor zwei Jahren das Amt von Margot Käßmann übernahm, bezieht sich mit dieser Haltung auf Martin Luther, der die Ehe als „weltlich Ding“ bezeichnet habe, das von den Partnern „gestiftet und gestaltet werden muss“.

Schneider weiter: „Aus einem evangelischen Eheverständnis kann heute eine neue Freiheit auch im Umgang mit gesellschaftlichen Veränderungen erwachsen – im Umgang mit Geschiedenen genauso wie mit Einelternfamilien oder auch mit gleichgeschlechtlichen Paaren.“ Wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen, dort ist für die EKD Familie, egal in welcher Form, stellte Christine Bergmann, ehemalige Bundesfamilienministerin und Vorsitzende der Kommission, klar. „Das Leitbild der partnerschaftlichen Familie sollte der Maßstab für kirchliches Handeln bei der Unterstützung von Familien sein.“

Ehe bis zum Lebensende - ein "Idealfall"

Die „Orientierungshilfe“ verlangt vom Staat, die Sozial- und Wirtschaftspolitik neu auf die Belange der Familien auszurichten. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei weiterhin ein Problem, mehr und mehr auch für Männer. Nach wie vor bestehe ein Armutsrisiko für Familien und Alleinerziehende.

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Familienfreundliche Arbeitsplätze und -zeiten gebe es zu wenig. Auch die Kirche sei gefordert, bestehende Lücken bei der Betreuung kleiner Kinder zu füllen, damit Frauen einen Beruf ausüben können. Das Thema Gewalt und Missbrauch in der Familie wird nicht ausgespart.

Ein „weltlich Ding“ kann zerbrechen. Im 34. Kapitel der „Orientierungshilfe“ wird auf das Unterhaltsrecht verwiesen und auf die Pflicht für Geschiedene, rasch auf eigenen Beinen zu stehen. „Die neue Rechtslage sollte jungen Menschen klar sein, wenn sie sich für die Lebensform mit traditioneller Arbeitsteilung entscheiden“, heißt es dort.

Die Ehe, die unter allen Bedingungen dauert „bis dass der Tod euch scheidet“ hat die evangelische Kirche angesichts der Scheidungsraten somit als das beschrieben, was sie ist: ein Idealfall – auf den man sich in der Berufs- und Lebensplanung nicht verlassen sollte. Aber der Segen Gottes, so Schneider, verspreche „uns auch dann Zukunft, wenn wir scheitern“.