Berlin. . Fremder Freund: Das Spähprogramm „Prism“ belastet die Deutschland-Visite des US-Präsidenten Barack Obama in der kommenden Woche. Der Syrien-Konflikt, das Gefangenenlager in Guantanamo und die Überwachung des Internets durch US-Geheimdienste sind strittige Themen. Die Euphorie bei seinem Berlin-Besuch vor fünf Jahren ist verflogen.

Als er 2008 nach Berlin kam und 200.000 Menschen an Barack Obamas Lippen hingen, war es ein magischer Auftritt. Ende Juli, ein lauer Abend, es dämmerte leicht, und in dieser blauen Stunde sprach er zu den Massen. Es war von „Change“ die Rede, vom Wechsel, und von der Hoffnung auf eine bessere Welt. Ein Zuhörer hielt ein Schild in die Höhe. „Obama for Kanzler“. So war die Stimmung.

Am Mittwoch ist er wieder da. Vieles ist anders. Diesmal kommt er nicht als Senator, sondern als US-Präsident. Er muss nicht auf die Siegessäule ausweichen, sondern darf vor dem Brandenburger Tor reden. Heuer scheut er die offene Kulisse. Zugelassen sind 4000 ausgewählte Gäste. Auf die Idee, „Obama for Kanzler“ zu rufen, dürfte wohl keiner mehr kommen.

Salomon Reyes bestimmt nicht. Der Wahlkampfstratege der Piratenpartei bastelte sich einen speziellen Gruß: „Überwachungsstaat, Yes, we can“. Die Internetgeneration ist ernüchtert seit bekannt wurde, dass der US-Geheimdienst das Netz ausspäht. „Prism“ heißt das Programm, über das der „Guardian“ und die „Washington Post“, berichteten. Weltweit werden wir ausspioniert, auch Deutschland.

Gebrochene Versprechen

Die Enttäuschung griff schon früher um sich. Warum brauchte Obama so lange, um Wort zu halten und das Lager in Guantanamo zu schließen? Wieso billigt ein demokratischer Präsident den Einsatz von Killerdrohnen? Deutsche und Amerikaner ticken anders – nicht nur, wenn es um nationale Sicherheit geht. Als der Präsident gestern den Rebellen in Syrien Waffen versprach, zog Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Bundestag ihren Außen- und ihren Verteidigungsminister zu Rate. Der informelle Sicherheitsrat brauchte nicht lang, da stand das Ergebnis fest: Ohne uns, ohne deutsche Waffen.

Das wird Merkel ihrem Gast sagen müssen; auch um die Kritik an „Prism“ will sie sich nicht drücken. Alle pochen darauf, die Opposition, aber auch aus der Regierung heraus, etwa Datenschutzbeauftragter Peter Schaar. Er erwarte, dass sie „auf Aufklärung drängt und den Schutz der Daten deutscher Nutzer anspricht“.

Totalüberwachung durch die USA

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) intervenierte bei der Internetwirtschaft. Hans-Peter Friedrich (CSU) bereitet einen Fragenkatalog vor. Die SPD legt den Finger in die Wunde. „Es darf doch nicht sein, dass der deutsche Innenminister so brisante Informationen nur aus der Zeitung erfährt“, sagte Thomas Oppermann (SPD). Seine Partei ist hin und her gerissen. Sie missbilligt die Totalüberwachung durch die USA; es gefällt ihr auch, die Kanzlerin unter Handlungsdruck zu setzen, einerseits. Andererseits sind die US-Demokraten der Partner der SPD. Bilder von Kanzlerkandidat Steinbrück mit Obama sind sehr willkommen. „Die Stimmung mag nicht mehr so euphorisch wie vor seinem letzten Besuch in Berlin sein“, räumt Oppermann ein, dennoch freue er sich auf Obama.

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Das ändert nichts daran, dass er den Zugriff auf die Daten der Nutzer durch den Geheimdienst NSA als eine „Totalüberwachung“ missbilligt. Strategische Aufklärung betreibt jeder Dienst. Nur: Die Amerikaner treiben es zu doll. Sie ermitteln erstens, wer mit wem telefoniert. Das ist genau jene Vorratsdatenspeicherung, die hierzulande nicht durchsetzbar war.

Vorteil NSA

Zweitens zweigen sie Daten ab, die für AOL, Apple, Facebook, Yahoo, Google, Youtube, Microsoft, Skype und andere Anbieter bestimmt sind. Gespeicherte Daten von Usern. E-Mails, SMS, Internet-Telefonie. Der Bundesnachrichtendienst (BND) überwacht die laufenden Daten über Satelliten oder Leitung nach bestimmten Verdachtsmustern, nach Stichworten, Adressaten. Es heißt, dass man mit „Prism“ jeden Monat 100 Milliarden Daten speichert. Zum Vergleich: Der BND fing im Jahr 2011 2,9 Millionen Mails ab, 2012 etwas über eine Million. Drittens überwachen die USA auch befreundete Staaten. Auch das ist höchst befremdend.

Das Internet mag staatenlos sein, die meisten Daten laufen aber über US-Server. Vorteil NSA. Das Internet ist global, der Grundrechtsschutz nicht. Man müsse die Internet-Konzerne verpflichten, das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Bürger ernst zu nehmen, meint Oppermann.

Abhängigkeit von den USA

Gegenspieler Friedrich klingt weniger forsch. Ihm ist die Abhängigkeit von den USA bewusst. „Glücklicherweise bekommen wir gute Informationen von unseren Partnern“. Die lieferten Erkenntnisse, „sagen uns aber nicht, woher diese Hinweise stammen“. Im Klartext: Der Minister kann nicht ausschließen, dass seine Behörden von „Prism“ profitieren. Um ihren strikten Vorrang für die nationale Sicherheit werden die Amerikaner von Friedrich mitunter beneidet. „So manches Instrument, das sie haben, sollten wir auch einführen“, verrät er. Nicht jeder findet Big Brother Barack unheimlich.