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Stimmen sie also doch, die Vermutungen von Datenschützern und die Ahnungen der Verschwörungstheoretiker? Schon lange mahnten und raunten sie, US-Geheimdienste würden im großen Stil Telefongespräche mitschneiden und den Datenverkehr im Internet überwachen. Nun legen Veröffentlichungen nahe: Es könnte stimmen – und es ist alles vermutlich noch viel schlimmer.

Am Mittwoch berichtete die britische Zeitung „Guardian“ von einer geheimen Gerichtsanweisung an den größten US-Mobilfunkanbieter Veri­zon Wireless, drei Monate lang die kompletten Informationen zu allen Anrufen an die National Security Agency (NSA) zu übergeben. Der Militärnachrichtendienst kann daraus schließen, wer wann wo und wie lange angerufen hat. Ein Sprecher des Weißen Hauses bestätigte die Sammelaktion und nannte das Vorgehen legal.

Doch diese alarmierende Nachricht ist wohl nur die Spitze des Eisbergs. Die USA spionieren die Bevölkerung offenbar mit einem massiven Technikeinsatz auch im Internet aus. Nach geheimen NSA-Informationen, die der „Washington Post“ und dem „Guardian“ von Eingeweihten zugespielt worden seien, zapfen NSA und Bundespolizei FBI seit Jahren die zentralen Rechner von führenden Internetfirmen an. Betroffen seien neben Verizon auch Microsoft mit Diensten wie Hotmail und Skype, Google, Yahoo, Apple und Facebook. Damit hätten die Behörden direkten Zugriff auf E-Mails, Fotos, Videos, Chats und sonstige persönliche Daten. Das Programm mit dem Code-Namen „Prism“ (Prisma) sei streng geheim. Nach den Medien-Berichten wurde Prism bereits 2007 ins Leben gerufen und unter der Präsidentschaft von Obama massiv ausgeweitet.

Für die Internetdienste, die auf das Vertrauen ihrer Nutzer angewiesen sind und stets versichern, deren Privatsphäre zu schützen, sind diese Nachrichten eine Katastrophe. Die Internet-Riesen dementierten prompt einer nach dem anderen, dass sie die Geheimdienste automatisch mitlesen ließen. Tatsächlich bleibt unklar, welche Daten die NSA tatsächlich verwertet. Greift der Geheimdienst ohne Wissen der Firmen die Daten ab oder speisen diese die Öffentlichkeit mit halbwahren Dementis ab? Möglich wäre diese Version: Wenn die Internetkonzerne auf Basis eines Gerichtsbeschlusses regelmäßig Kopien aller Daten an die NSA weitergeben, könnten sie behaupten, die NSA habe keinen „direkten“ Zugriff. Gleichwohl bekäme der Geheimdienst die gewünschten Informationen.

Gigantische Datenmengen

Die Bundesregierung reagierte bereits besorgt auf die Berichte. Es werde geprüft, ob auch deutsche Nutzer betroffen seien, sagte ein Sprecher. Der Bundesverband der IT-Branche (Bitkom) verlangte Klarheit: „Solche Maßnahmen zerstören das Vertrauen von Verbrauchern und Unternehmen nicht nur in den USA“, erklärte Bitkom.

Doch wie sollten die US-Geheimdienste so gigantischen Datenmengen auswerten? Technisch sei dies kein Problem, meinen Experten. Unter dem Stichwort „Big Data“ gebe es Technologien, die gewaltige Datenberge abarbeiten könnten. Das US-Internet-Magazin „Gigaom“ erklärt genau, wie die NSA vorgeht. Vereinfacht lässt sich das so darstellen: Mit der speziellen Software „Accumulo“ werde ein grafisches Netz in Form einer Pyramide (Prisma!) erstellt, jeder Anruf ist ein Knotenpunkt. So lasse sich zeigen, wer mit wem wann und wo Kontakt hatte. „Die Agenten können sehr schnell herausfinden, wer Du bist, wen Du kennst und wohin Du gehst“, heißt es dort. Hunderte Millionen Verbindungen könne die NSA auf diese Weise auswerten. Dies sei eine wirkungsvolle Methode zur Verbrechensbekämpfung – einerseits. Und zugleich eine perfekter Weg, individuelle Freiheiten auszuhöhlen.