Leipzig. .

Nur für kurze Zeit kommt Sigmar Gabriel ins Schwimmen. Versehentlich spricht er bei seiner Rede zum 150. SPD-Jubiläum die Bundeskanzlerin als „Frau Bundespräsidentin“ an, doch als er seinen Lapsus bemerkt, schickt der SPD-Chef freundlich hinterher: „Ich bin meiner Zeit voraus, Frau Merkel.“ Die Kanzlerin lacht über die verwegene Prognose, der Beifall rauscht, während Gabriel flachsend hinzufügt: Es gebe noch keinerlei geheime Absprachen. Schon vorher hat der SPD-Chef der Kanzlerin nette Signale zukommen lassen und sie spaßeshalber zum Breakdance auf der Bühne aufgefordert, was Merkel erwartungsgemäß ablehnt.

Spätestens ist jetzt klar: Die SPD feiert sich zwar mit einigem Pomp selbst, doch beim großen Festakt im Leipziger Gewandhaus soll es allseits freundlich-versöhnlich zugehen. 1600 Gäste aus 80 Ländern sind der Einladung gefolgt, neben der Kanzlerin auch Bundespräsident Joachim Gauck, Frankreichs Präsident François Holland und neun weitere europäische Regierungschefs. Die Jubiläumsfeier vier Monate vor der Bundestagswahl ist für die SPD weniger Parteiveranstaltung denn Staatsakt, bei dem sich die Sozialdemokraten vor allem als „Rückgrat der deutschen Demokratie“ präsentieren, wie Gabriel es ausdrückt.

Und alle machen mit an diesem Tag, an dem die Sozialdemokratie vor genau 150 Jahren in Leipzig mit der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins ihren Anfang nahm. Merkel hat schon am Morgen in einer Grußadresse die SPD als „streitbare und unbeugsame Stimme der Demokratie“ gelobt, Respekt und Anerkennung ausgesprochen. Nun hält Gauck eine überaus freundliche Rede, in der er die SPD als treibende Kraft bei der Durchsetzung von Demokratie, Gerechtigkeit und Solidarität würdigt. „Es war die SPD, die auf Reform statt auf Revolution setzte“, lobt Gauck mit Blick auf kommunistische Irrwege. Wie andere Redner später würdigt der Bundespräsident das Nein der SPD-Abgeordneten im Reichstag zu Hitlers Ermächtigungsgesetz als Ehrenrettung der deutschen Demokratie.

Präsident Hollande lobt danach, ähnlich wie Gauck, jene Agenda 2010, die die SPD so viel Kraft und Sympathien gekostet hat: Mit der „mutigen Entscheidung“ habe Gerhard Schröder dafür gesorgt, dass Deutschland die Nase vorn habe. Der Altkanzler, mit dickem Verband nach einer Handoperation, nimmt in der ersten Reihe den Beifall gerührt entgegen. Hollande meint auch, der Kurswechsel mit dem Godesberger Programm 1959 habe schon früh den Realitätssinn der SPD bewiesen.

Gabriel, der mit Hollande einen demonstrativen Schulterschluss übt, obliegt es schließlich, in einer kraftvollen Rede die Zweifel wegzuwischen, dass die SPD nach den 150 Jahren überhaupt noch eine größere Zukunft vor sich hat. Der Parteichef verweist auf die Globalisierung, bei der sich erneut die Gerechtigkeitsfrage stelle. Noch immer hätten auch in Deutschland nicht alle Menschen die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben, dies bleibe die größte Herausforderung. Die SPD wolle „wieder mehr Demokratie“ wagen, kündigt Gabriel an.

Der Mann, der diese Hoffnungen bei der Bundestagswahl einlösen muss, spricht beim Festakt indes nicht. Peer Steinbrück muss verzichten, um den Eindruck einer Wahlkampfveranstaltung zu zerstreuen. Dafür hat der Kanzlerkandidat später auf dem Marktplatz ei­nen Auftritt: Gemeinsam mit Gabriel und Schatzmeisterin Barbara Hendricks schneidet er eine riesige Erdbeertorte an. „Die Stücke von mir schmecken anders“, ruft Steinbrück, „die sind ein bisschen schärfer, da ist mehr Pfeffer drin.“