Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel verleugnet nicht ihr „erstes Leben“ in der DDR. Sie lässt sich auch von einem neuen Buch nicht irritieren. Das Misstrauen der Autoren Günther Lachmann und Ralf Georg Reuth ist spürbar. Eine Szene mit Joachim Gauck aus dem Jahr 2010 ist sehr aufschlussreich.

Angela Merkel hält dagegen. „Ran an den Speck“, sagt sie dann gern. Sie verteidigt ihr „erstes Leben“ in der DDR. „In der Summe bin ich nie zum Schluss gekommen, mein Leben wäre umsonst, ich sei nur eingesperrt“, erklärte sie am Sonntag nach der Vorführung des Films „Die Legende von Paul und Paula“. Ein Satz, der nachträglich ins Buch von Günther Lachmann und Ralf Georg Reuth gehört. Die Journalisten beginnen ihr Buch über Merkels DDR-Zeit mit einer Szene vom Juni 2011: ­Washington, Weißes Haus, der US-Präsident verleiht der Kanzlerin die Freiheitsmedaille. Merkel spricht über die Sehnsucht nach Freiheit. Sie bewege Menschen dazu, „Ängste zu überwinden, sich offen gegen Dikta­turen zu stellen“.

Anpassung und Sehnsucht

Redete sie über sich? Sie passt sich jedenfalls jedem Publikum an, ob im Weißen Haus oder bei der Vorführung eines DDR-Kultfilms. Ihre Vergangenheit hat sie nie verleugnet, aber ungern öffentlich darüber geredet. Privat sah man sie etwa im November 2011 bei der Heinrich-Böll-Stiftung, als die Aufzeichnung des legendären Kölner Konzerts des Liedermachers Wolf Biermann gezeigt wurde. Dass sie sich am Sonntag zur Zeit in der DDR äußerte, liege nicht nur an Lachmann und Reuth oder all den Merkel-Büchern, die gerade „Konjunktur“ hätten, sagt Armin Laschet, Chef der NRW-CDU, süffisant. Es ist Teil des Wahlkampfs, Persönliches zu zeigen. Private Fotos, Talk-Runden bei „Brigitte“. Nun also: Die DDR-Vergangenheit. Eine Merkel verliert nicht die Nerven, nur weil über sie recherchiert wird.

Die Kanzlerin war nie in der SED, hat nicht für die Stasi gespitzelt. Sie war gerade so systemkonform, dass sie unbehelligt weiterkam. War bei den Pionieren, in der Freien Deutschen Jugend (FDJ), war gewerkschaftlich aktiv und in der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft. Dass sie studieren konnte, es in die Akademie der Wissenschaften schaffte, wäre ohne ihre schulische und akademische Leistung kaum denkbar gewesen; ebenso wenig ohne Anpassung oder ihr Elternhaus. Ihr Vater, der Pfarrer Horst Kasner, hieß: der „rote Pastor“. Er stand für die „Kirche im ­Sozialismus“. Das hatte Nachteile – und Vorteile. Zwei Autos, West-Pakete, verbotene Bücher. Und die Kinder durften studieren. Physik, weil es der Tochter Spaß machte, nicht weil ihr keine Wahl geblieben wäre. Später, als Wissenschaftlerin, darf sie auch in den Westen reisen.

Es ist aber kein Widerspruch, dass sie von Sehnsucht nach Freiheit und vom Glück in der DDR erzählt. Eines schließt das andere nicht aus. Michael Schindhelm, mit dem sie ihr Büro teilte, schrieb nach der Einheit einen Roman – „Roberts Reise“; Merkel ist darin als „Renate“ leicht zu erkennen. Über Renate heißt es dort, sie sei ein „Vorbild einer illusionslosen Jung-Wissenschaftlerin“ und von Pathos nur beseelt „im Zusammenhang mit einsamen Radtouren in der Mark Brandenburg“.

Aufschlussreiche Szene mit Gauck

In Reuth/Lachmanns Buch erkennt man die ruhige, sachliche, verschwiegene, risikoscheue Frau in der Kanzlerin wieder. Die Autoren tragen wenig Neues zusammen, vor allem nicht ihre Arbeit in Marxismus-Leninismus, jene 50 Seiten („Was ist sozialistische Lebensweise“), die verschollen sind. Merkel sagt, sie habe keine Kopie gemacht. Das Misstrauen der Autoren ist mit Händen zu greifen.

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Das erlebt Merkel häufiger. Die einen rümpften die Nase, weil sie beim „Demokratischen Aufbruch“ und in der CDU landete. Andere werfen Merkel ihr erstes Leben vor. Aufschlussreich eine Szene, die im Buch fehlt: 2010, Joachim Gauck wird 70. Der heutige Bundespräsident ist das Kontrastprogramm: Der Vater war in Haft, der Sohn stand im Widerstand zum Regime.

Merkel also ruft ihm auf der Feier zu, man dürfe stolz sein auf die ­gemeinsame Ost-Biografie. „Aber man musste, liebe Frau Bundeskanzlerin, nicht unbedingt ­Se­kretärin für Agitation und Propaganda werden“, antwortet Gauck in Anspielung auf ihre FDJ-Zeit.

Auch Reuth und Lachmann fragen erneut, ob sie nur für Kultur zuständig war (ihre Erinnerung) oder auch für Agitation. Es sei „kein Leben im Widerstand“ gewesen, sagt die Biografin Evelyn Roll, „höchstens im Abstand zur DDR“. Aber kommt es, über 20 Jahre nach der Einheit, wirklich noch darauf an?