Essen/Hamburg. Ein Buch des Historikers Geralf Gemser sorgt für Aufsehen. Der Chemnitzer hat Schulen in Sachsen untersucht und ist dabei auf acht gestoßen, die nach ehemaligen NSDAP-Mitgliedern benannt sind. In NRW gibt es ein Gemeindezentrum mit umstrittenem Namensgeber.

Goethe und Schiller, Albert Einstein oder die Geschwister Scholl – viele Schulen haben sich nach diesen Persönlichkeiten benannt. Schließlich will man sich mit dem Namensgeber schmücken, er soll Vorbild für die Schüler sein. Doch bundesweit ist auch eine dreistellige Zahl von Schulen nach Erkenntnissen des Chemnitzer Historikers Geralf Gemser nach ehemaligen NSDAP-Mitgliedern benannt. Schulen und Städte gehen mit dem Thema sehr unterschiedlich um.

Gemser hat gerade das Buch „Unsere Namensgeber. Widerstand, Verfolgung und Konformität 1933 – 1945 im Spiegelbild heutiger Schulnamen“ veröffentlicht. Darin konzentriert sich der Historiker auf die knapp 2.200 Schulen in Sachsen. Acht von diesen sind nach ehemaligen NSDAP-Mitgliedern benannt. Dabei handele es sich aber nicht um „Täter im juristischen Sinn“ betont Gemser. Es gehe um Mitgliedschaften, bestimmte Aussagen, Teilnahmen an NS-Veranstaltungen und andere Zeichen der Konformität.

Kurt-Gerstein-Haus in Hagen

Für das Ruhrgebiet liegen zu dem Thema bislang noch keine wissenschaftlichen Untersuchungen vor. Dem Geschäftsführer der Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets, Dr. Jürgen Mittag, ist keine Schule bekannt, deren Namenspate kritisch zu betrachten wäre. Auch der Sprachwissenschaftler und Namensforscher Professor Heinz H. Menge von der Ruhr-Universität Bochum ist mit dem Thema bislang noch nicht in Berührung gekommen: „Es gab hin und wieder Diskussionen um einzelne Fälle, aber soweit ich weiß sind nirgendwo im Ruhrgebiet Schulnamen systematisch auf nationalsozialistische Namenpatrone hin untersucht worden.“ Dr. Ralf Blank vom Historischen Zentrum Hagen verweist im Gespräch mit DerWesten auf das Hagener Kurt-Gerstein-Haus. Das Gemeindezentrum ist nach einem ehemaligen SS-Offizier und NSDAP-Mitglied benannt. Gersteins Rolle während des NS-Regimes ist unter Historikern umstritten. Einige betrachten ihn als Widerstandskämpfer, andere als Mittäter. Schulen mit ähnlich fragwürdigen Namensgebern kennt Blank im Ruhrgebiet aber nicht: „Vielleicht liegt das an der sozialdemokratischen Tradition der Region.“

Gemser selbst will seine Nachforschungen ausweiten und geht davon aus, dass sich deutschlandweit über 100 Schulen nach ehemaligen NSDAP-Mitgliedern benannt haben. „Für das Ruhrgebiet oder Nordrhein-Westfalen gibt es aber noch nichts, was schon zur Veröffentlichung bestimmt wäre“, sagt der Historiker auf Nachfrage von DerWesten.

Buch hat keinen anklagenden Charakter

Gemser betont im Vorwort seines Buches, das Namenslexikon habe keinen überwiegend anklagenden Charakter. Aber es gehe doch um die Frage, inwieweit Konformität oder gar Täterschaft bagatellisiert würden: Problematische oder widersprüchliche Lebensläufe sollen zur Diskussion gestellt werden.“

Eine solche Diskussion brach mit dem Buch über das Ferdinand-Sauerbruch-Gymnasium im sächsischen Großröhrsdorf auf. Die Schule ist nach dem 1875 geborenen Chirurg benannt, der laut Gemser Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels behandelte und 1942 finanzielle Mittel für medizinische Versuche an KZ-Häftlinge bewilligte.

„Bis vor ein paar Tagen war das hier kein Thema“, sagt der stellvertretende Schulleiter Gerd Lehmann. Die Schule habe zu DDR-Zeiten den Namen des Kommunisten Fritz Weineck getragen, der nach der Wende nicht mehr erwünscht gewesen sei. «Da haben die Verantwortlichen hier offenbar nach einem neuen Namensgeber mit Bezug zum Ort gesucht», sagt Lehmann. Und Sauerbruch habe sich in der Gegend wohl verdient gemacht. Wie es jetzt weitergehe, könne er noch nicht sagen. Zunächst werde die Schule gründlich recherchieren und dann gegebenenfalls handeln, sagt Lehmann.

Keine Richtlinien für Schulnamen

Für die Benennung einer Schule ist in Deutschland allein der Schulträger verantwortlich – in den meisten Fällen also die Stadt oder Gemeinde. „Richtlinien für die Namenswahl gibt es von unserer seite nicht“, sagt ein Sprecher des NRW-Schulministeriums. Auch hier sind keine konkreten Fälle aus Nordrhein-Westfalen bekannt, bei denen ein Schulname für Kontroversen gesorgt hätte.

Die Diskussion um umstrittene Namenspaten wird mittlerweile in ganz Deutschland geführt. Oft ist das Problem, dass sich die umstrittenen Namensgeber nach dem Ende der NS-Zeit auf andere Weise etablierten. Manche Schulen zogen jedoch bereits Konsequenzen. So nannte sich eine Berliner Schule, die ehemals den Namen des Wehrmachtsgeneral Erich Hoepner trug, im vergangenen Sommer in Heinz-Berggruen-Gymnasium um. Und das Städtische Gymnasium im westfälischen Kreuztal legte kürzlich den Namen des Großindustriellen Friedrich Flick ab, der 1947 in den Nürnberger Nachfolgeprozessen als Kriegsverbrecher verurteilt worden war.

Seit Jahren umstritten ist in Wiesbaden die mögliche Umbenennung der Rudolf-Dietz-Schule. Die Grundschule im Stadtteil Naurod ist nach einem 1942 verstorbenen nassauischen Heimatdichter benannt. Dietz war seit 1917 oder 1918 Mitglied des rassistischen «Deutschbundes» und ab 1933 Mitglied der NSDAP. Neben Hunderten harmloser Heimatgedichte veröffentlichte er nach Recherchen des Wiesbadener Stadtarchivs auch schätzungsweise 30 eindeutig antisemitische Gedichte.

Die Stadt holte nach einer kontroversen Diskussion 2004 ein Gutachten des renommierten Karlsruher Historikers Peter Steinbach ein, das Dietz als «Mitläufer» im Dritten Reich einstufte. Das Wiesbadener Stadtparlament lehnte daraufhin eine Umbenennung der Schule ab.

"Geschichte nicht wegschließen"

Stattdessen soll sie sich in ihren vierten Klassen verstärkt mit dem Thema Nationalsozialismus auseinandersetzen. «Man kann Geschichte nicht wegschließen», begründet Oberbürgermeister Helmut Müller das Vorgehen. Die Beibehaltung des Namens erzwinge eine permanente Auseinadersetzung mit Dietz und seiner NS-Vergangenheit.

Gemser hingegen ist der Meinung: «Schulen sollten prüfen, wen man den Schülern als Vorbild geben kann.» Wenn man eine Person aus der NS-Zeit wählen wolle, sei es idealerweise ein Mensch, der sich mutig gegen das Regime stellte oder sich zumindest von ihm abkehrte. Schulnamen seien auch bestens geeignet, NS-Opfern ehrendes Gedenken zu erweisen. «Diesen Maßstab, diesen Anspruch, muss man setzen dürfen.» An geeigneten Namenspatronen mangele es nicht. (Mit Material von ap)

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