Berlin.. Der SPD-Kanzlerkandidat zeigt, was er mit Beinfreiheit meint: Den Parteichef Sigmar Gabriel pfeift er für seinen Tempolimit-Vorstoß zurück, und ausgerechnet Gewerkschaftsboss und Hartz-IV-Kritiker Klaus Wiesehügel beruft Steinbrück in sein Schattenkabinett.

Er behauptet, die Linke habe glatt sein ganzes Rentenprogramm abgeschrieben. „Deswegen muss ich nicht gleich herüberrennen“, hat Klaus Wiesehügel mal gesagt. „Langfristig sehe ich bei denen kein Potenzial.“ Das erkannte der IG-Bau-Chef nun beim SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück. Für den zieht er jetzt in den Wahlkampf: Im Kompetenzteam. Wiesehügel soll die Arbeiter, die Gewerkschaften, die Stammwähler der SPD ansprechen.

Die Mannschaft – wohl zwölf Leute, zur Hälfte Frauen – nimmt Konturen an. Dass der SPD- Fraktionsmanager Thomas Oppermann für die innere Sicherheit zuständig sein soll, hatte man erwartet. Jesche Joost gilt als Internetexpertin, ein Signal an die Netzgemeinde. Über das Team raunte man sich seit Tagen in der SPD zu, „da ist ein Hammer dabei“.

Dieser Hammer ist Wiesehügel, 60 Jahre alt, Bundestagsabgeordneter von 1998 bis 2002, Kritiker der Agenda 2010 und noch mehr der Rente mit 67. „Man wirft mir ja immer vor, ich sei ein Betongewerkschafter“, sagt er. Das ist der Mann aus Mülheim: Er hat Betonbauer gelernt, schon der Vater war Bauarbeiter.

Ein Mann mit Stallgeruch

Zum ersten Mal bekommt man ein Gefühl dafür, was Steinbrück unter Beinfreiheit versteht. Erst stoppte er die Debatte über ein Tempolimit und damit SPD-Chef Sigmar Gabriel; in Berlin hatten viele darauf gewartet. Und nun Wiesehügel, ein Mann mit Stallgeruch. Ein Gewerkschaftschef gilt seither als Idealbesetzung für die Themenfelder Arbeit und Soziales.

Anfang Januar, als viele über seine Redehonorare oder seine Klagen über das zu niedrige Kanzlergehalt herzogen, da nahm Wiesehügel ihn in Schutz: „Peer Steinbrück hat recht.“ Doch recht haben und den Medien gefallen – „das sind zwei verschiedene Dinge“.

Obendrein rückte Wiesehügel vom linken Rand – in der Ära Schröder – in die Mitte der Partei. „Ich habe ja hart diskutiert mit denen“, damals in der Gerhard-Schröder-Ära. „Die haben alle gesagt, sie seien vom Schröder-Kurs überzeugt. Das schaffe Arbeit. Heute ist es wieder anders. Herrlich, wie geschmeidig die Leute sind“, bemerkte er in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“.

„Schröder hatte noch nie sozialdemokratische Prinzipien“

Ein Umfaller wollte er nicht sein. Und um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ebenso wenig zählte er Schröder dazu. „Schröder ist kein Umfaller. Der hatte noch nie sozialdemokratische Prinzipien.“

Kanzlerkandidat Peer Steinbrück

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Fünf Jahre lang gehörte Peer Steinbrück dem Kabinett von Heide Simonis in Schleswig-Holstein an, 1998 wechselte der gebürtige Hamburger nach NRW, wo er schon als Beamter gearbeitet hatte. Er wurde zunächst Wirtschafts- und Verkehrsminister unter Wolfgang Clement, der ihm hier die Hand schüttelt.
Fünf Jahre lang gehörte Peer Steinbrück dem Kabinett von Heide Simonis in Schleswig-Holstein an, 1998 wechselte der gebürtige Hamburger nach NRW, wo er schon als Beamter gearbeitet hatte. Er wurde zunächst Wirtschafts- und Verkehrsminister unter Wolfgang Clement, der ihm hier die Hand schüttelt. © dpa | Unbekannt
Peer Steinbrück bei seiner Vereidigung im Landtag
Peer Steinbrück bei seiner Vereidigung im Landtag © dpa | Unbekannt
Im Jahr 2000 wechselte Steinbrück ins Düsseldorfer Finanzministerium. Der Job machte ihm offenbar Spaß, obwohl er...
Im Jahr 2000 wechselte Steinbrück ins Düsseldorfer Finanzministerium. Der Job machte ihm offenbar Spaß, obwohl er... © Unbekannt | Unbekannt
...wegen seiner Haushaltspolitik von der Opposition scharf kritisiert wurde.
...wegen seiner Haushaltspolitik von der Opposition scharf kritisiert wurde. © dpa | Unbekannt
Selbstzufriedener Blick in die Zukunft: Als Ministerpräsident Wolfgang Clement als Gerhard Schröders
Selbstzufriedener Blick in die Zukunft: Als Ministerpräsident Wolfgang Clement als Gerhard Schröders "Superminister" nach Berlin wechselte, war... © dpa | Unbekannt
...der Weg für Steinbrück frei: Er wurde neuer Ministerpräsident in NRW.
...der Weg für Steinbrück frei: Er wurde neuer Ministerpräsident in NRW. © dpa | Unbekannt
Als Ministerpräsident in NRW (hier bei der Vereidigung) kam auch der als distanziert geltende Steinbrück...
Als Ministerpräsident in NRW (hier bei der Vereidigung) kam auch der als distanziert geltende Steinbrück... © dpa | Unbekannt
...nicht um Kontakt zum Wahlvolk herum. Offenbar machten ihm solche Termine, wie hier im Bergwerk Ost, sogar Spaß.
...nicht um Kontakt zum Wahlvolk herum. Offenbar machten ihm solche Termine, wie hier im Bergwerk Ost, sogar Spaß. © Unbekannt | Unbekannt
Naja, vielleicht immerhin ein bisschen. Er musste sich aber nicht jeden Tag schmutzig machen, denn als Ministerpräsident...
Naja, vielleicht immerhin ein bisschen. Er musste sich aber nicht jeden Tag schmutzig machen, denn als Ministerpräsident... © Unbekannt | Unbekannt
...begrüßte Peer Steinbrück auch manch prominenten Gast, darunter auch Queen Elisabeth II.
...begrüßte Peer Steinbrück auch manch prominenten Gast, darunter auch Queen Elisabeth II. © Getty Images | Getty
Fußball-Idol, Frauenschwarm oder beides? Auf einem Kongress für Mädchen- und Frauenfußball gibt Steinbrück ein Autogramm - stilecht auf dem Lederball.
Fußball-Idol, Frauenschwarm oder beides? Auf einem Kongress für Mädchen- und Frauenfußball gibt Steinbrück ein Autogramm - stilecht auf dem Lederball. © Bongarts/Getty Images | Getty
Peer Steinbrück mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Im Frühjahr 2005 hofften beide noch, dass...
Peer Steinbrück mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Im Frühjahr 2005 hofften beide noch, dass... © Getty Images | Getty
...die SPD in NRW an der Macht bleiben könnte. Dafür warf sich der knurrige Hanseat in den Wahlkampf, so wie hier in Duisburg.
...die SPD in NRW an der Macht bleiben könnte. Dafür warf sich der knurrige Hanseat in den Wahlkampf, so wie hier in Duisburg. © Getty Images | Getty
Der 22. Mai 2005 wurde für Peer Steinbrück und die SPD zum Tag der Wahrheit. Das Bild zeigt ihn mit seinen Töchtern und seiner Ehefrau auf dem Weg zur Wahlurne.Abends stand fest, dass...
Der 22. Mai 2005 wurde für Peer Steinbrück und die SPD zum Tag der Wahrheit. Das Bild zeigt ihn mit seinen Töchtern und seiner Ehefrau auf dem Weg zur Wahlurne.Abends stand fest, dass... © Getty Images | Getty
...der Kampf nichts gebracht hatte. CDU-Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers hatte sich durchgesetzt. Peer Steinbrück gratuliert.
...der Kampf nichts gebracht hatte. CDU-Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers hatte sich durchgesetzt. Peer Steinbrück gratuliert. © Getty Images | Getty
Der Wahlkampf in NRW ist zu Ende, doch quasi zeitgleich beginnt ein neuer: Denn Bundeskanzler Gerhard Schröder ruft nach der Wahlniederlage seiner SPD in NRW zu Neuwahlen des Bundestags auf.
Der Wahlkampf in NRW ist zu Ende, doch quasi zeitgleich beginnt ein neuer: Denn Bundeskanzler Gerhard Schröder ruft nach der Wahlniederlage seiner SPD in NRW zu Neuwahlen des Bundestags auf. © Getty Images | Getty
Die vorgezogene Bundestagswahl im Herbst 2005 machte Angela Merkel zur Kanzlerin und Peer Steinbrück zum Finanzminister. Im November...
Die vorgezogene Bundestagswahl im Herbst 2005 machte Angela Merkel zur Kanzlerin und Peer Steinbrück zum Finanzminister. Im November... © Getty Images | Getty
...wurde er von Bundestagspräsident Norbert Lammert vereidigt.
...wurde er von Bundestagspräsident Norbert Lammert vereidigt. © Getty Images | Getty
Damals noch als Team, heute sind sie Gegner: Steinbrück und Merkel.
Damals noch als Team, heute sind sie Gegner: Steinbrück und Merkel. © Getty Images | Getty
Fußballfan Peer Steinbrück beim WM-Halbfinale 2006 im Dortmunder Stadion.
Fußballfan Peer Steinbrück beim WM-Halbfinale 2006 im Dortmunder Stadion. © Bongarts/Getty Images | Getty
Peer Steinbrück bei einer Kabinettssitung mit der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU).
Peer Steinbrück bei einer Kabinettssitung mit der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU). © Getty Images | Getty
Seit 37 Jahren ist Peer Steinbrück mit seiner Frau Gertrud verheiratet. Das Bild zeigt sie beim Besuch des Bundespresseballs.
Seit 37 Jahren ist Peer Steinbrück mit seiner Frau Gertrud verheiratet. Das Bild zeigt sie beim Besuch des Bundespresseballs. © Getty Images | Getty
Steinbrück beim Tanz mit Boxerin Regina Halmich.
Steinbrück beim Tanz mit Boxerin Regina Halmich. © Bongarts/Getty Images | Getty
In der Finanzkrise wurde Finanzministerminister Steinbrück für die Kanzlerin immer wichtiger. Im Oktober 2008 garantierten sie den Bundesbürgern: Die Spareinlagen sind sicher. Damit verhinderte die Regierung einen möglichen Sturm auf die Banken, der einen Kollaps der Wirtschaft hätte bedeuten können.
In der Finanzkrise wurde Finanzministerminister Steinbrück für die Kanzlerin immer wichtiger. Im Oktober 2008 garantierten sie den Bundesbürgern: Die Spareinlagen sind sicher. Damit verhinderte die Regierung einen möglichen Sturm auf die Banken, der einen Kollaps der Wirtschaft hätte bedeuten können. © Getty Images | Getty
Mit der Bundestagswahl 2009 endete die...
Mit der Bundestagswahl 2009 endete die... © Getty Images | Getty
...Große Koalition. Aus dem Finanzminister Steinbrück, der von Bundespräsident Horst Köhler die Entlassungsurkunde erhält, wurde...
...Große Koalition. Aus dem Finanzminister Steinbrück, der von Bundespräsident Horst Köhler die Entlassungsurkunde erhält, wurde... © Unbekannt | Unbekannt
...der Abgeordnete Steinbrück: Zum ersten Mal zog er als Parlamentarier in den Bundestag ein, musste aber zusammen mit Parteichef Sigmar Gabriel auf den harten Oppositionsbänken Platz nehmen.
...der Abgeordnete Steinbrück: Zum ersten Mal zog er als Parlamentarier in den Bundestag ein, musste aber zusammen mit Parteichef Sigmar Gabriel auf den harten Oppositionsbänken Platz nehmen. © Getty Images | Getty
Schon mehr als ein Jahr vor der Bundestagswahl 2013 diskutierte die Öffentlichkeit über die
Schon mehr als ein Jahr vor der Bundestagswahl 2013 diskutierte die Öffentlichkeit über die "K-Frage" der SPD. Schnell kristallisierte sich heraus: Einer aus der "Troika" Steinbrück, Steinmeier und Gabriel sollte es machen. © Getty Images | Getty
Ende September fiel dann die Entscheidung zugunsten von Steinbrück. Auf einem Nominierungsparteitag bestätigten die Mitglieder seine Kandidatur mit großer Mehrheit.
Ende September fiel dann die Entscheidung zugunsten von Steinbrück. Auf einem Nominierungsparteitag bestätigten die Mitglieder seine Kandidatur mit großer Mehrheit. © Getty Images | Getty
Seitdem kämpft Steinbrück mit zahlreichen Fettnäpfchen und Skandälchen, auch wenn...
Seitdem kämpft Steinbrück mit zahlreichen Fettnäpfchen und Skandälchen, auch wenn... © Getty Images | Getty
...der Kandidat selbst vieles davon nicht so ernst nehmen mag, sondern lieber seiner Partei beim Wahlkampf in Niedersachsen unterstützt.
...der Kandidat selbst vieles davon nicht so ernst nehmen mag, sondern lieber seiner Partei beim Wahlkampf in Niedersachsen unterstützt. © Getty Images | Getty
Bis zur Bundestagswahl muss Steinbrück noch Überzeugungsarbeit beim Wähler leisten: Noch liegt Angela Merkels CDU deutlich vor Steinbrück und der SPD.
Bis zur Bundestagswahl muss Steinbrück noch Überzeugungsarbeit beim Wähler leisten: Noch liegt Angela Merkels CDU deutlich vor Steinbrück und der SPD. © Getty Images | Getty
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Wiesehügel ist zwar ein Mann nach Gabriels Geschmack – aber er ist Steinbrücks Personalie. Sie lenkt nebenbei von der Debatte der letzten Tage ab. Zum ersten Mal ist deutlich geworden, worüber viele munkeln: Steinbrück und Gabriel harmonieren nicht miteinander.

Gabriel macht sein Ding. Mit seinem Vorstoß für ein Tempolimit 120 ignorierte er Beschlüsse. Wenn schon, dann ist die SPD für Tempo 130. Ernst genommen wurde es ohnehin nicht. Obendrein redete plötzlich niemand mehr über Steinbrücks Verkehrspolitik, die der Kandidat doch gerade erst vorgestellt hatte.

Nicht Gabriels erster Alleingang

Weil dieser Alleingang nicht der erste war , gingen Steinbrück, Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und Landespolitiker auf Distanz. Es war eine abgestimmte Aktion.

Gabriel erkannte, dass er sich in eine Sackgasse manövriert hatte und schob in „Bild“ nach: „Sicherheit braucht Vorfahrt, mehr wollte ich nicht sagen.“ Gestern nun gehörten die Schlagzeilen wieder allein dem Kanzlerkandidaten.