Washington. .

Als General Keith Alexander die Zahl bei der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar nannte, ging ein Raunen durch den Saal. Im zweiten Halbjahr 2012 registrierte der US-Geheimdienst NSA rund 100 veritable Hacker-Attacken gegen große amerikanische Banken. Tendenz steigend. Welche realen Folgen die zunehmenden virtuellen Angriffe haben, zeigte sich jetzt, als das Twitter-Konto der Nachrichtenagentur „Associated Press“ (AP) gehackt und an rund 1,9 Millionen Abonnenten diese Falschmeldung verschickt wurde: „Zwei Explosionen im Weißen Haus. Barack Obama verletzt.“ Binnen Minuten sauste der Börsen-Leitindex Dow Jones Industrial in den Keller. Bis zur schnellen Korrektur von AP, gingen nach Berichten der Wirtschaftsagentur Bloomberg 130 Milliarden Dollar verloren.

Twitter-Nachrichten als Waffe

Der Fall, hinter dem angeblich die „Syrische Elektronische Armee“ steckt, reiht sich ein in eine inzwischen stattliche Liste von Cyber-Attacken. Sie zeigt nach Ansicht von Prof. Jeff Hancock von der Cornell-Universität, „dass die sozialen Medien nicht nur banale Mitteilungen zwischen Teenagern übers Frühstück darstellen, sondern weltweit, massive Auswirkungen haben“.

Bei ihren Attacken kennen die Täter, die meist mithilfe virenverseuchter Mails Passwörter zu individuellen Twitter-Konten erschleichen, keine Grenzen. Im September 2011 wurde, vor seinem Ableben, der Tod des Apple-Gründers Steve Jobs per Twitter in die Welt gesetzt – die Aktie des Computer-Riesen fiel im Handumdrehen ab. Im August 2012 schrieb ein italienischer Journalist unter einem erlogenen Twitter-Konto eines russischen Regierungsmitglieds, dass der syrische Präsident Assad getötet worden sei – prompt reagierten die Öl-Märkte. Wie gefährlich die gelogenen Tweets sein können, erwies sich im Zuge der beispiellosen Jagd auf die Bombenleger von Boston. Ein vermisst gemeldeter Student der Brown Universität tauchte bei Twitter als Täter auf. Tausende sprangen auf den Zug, verbreiteten in der aufgeheizten Stimmung die Meldung – obwohl sie grundfalsch war und von keiner US-Behörde zuvor bestätigt wurde. Wäre der Mann auf der Straße entdeckt worden, so das FBI später, „hätte es böse ausgehen können“.

Gefährlicher als Terrorismus

Dass am Dienstag Börsenhändler durch eine als etabliert und seriös bekannte Nachrichten-Quelle getäuscht wurden, die ihrerseits missbraucht wurde, ist nach Ansicht der US-Börsenaufsicht SEC eine Premiere. Hintergrund: Erst vor wenigen Tagen genehmigte die Behörde, dass börsenrelevante Informationen über sämtliche Internetdienste verbreitet werden dürften; ein großes Einfallstor also für Verbrecher oder Saboteure. Die Bundespolizei FBI hat im Fall AP die Ermittlungen aufgenommen. Aus Sicherheitskreisen in Washington war gestern zu hören, dass man sich keine großen Hoffnungen macht, die Täter dingfest zu machen. „Eher könnte die Börse ihre Such-Algorithmen nach Schlüsselwörtern im Internet überdenken, die am Dienstag teilweise automatisch die hastigen Orderstopps ausgelösten haben“, sagte ein Cyber-Kriminalitätsexperte der American University.

Stephen Ward, Direktor des Zentrums für Ethik im Journalismus der Universität von Wisconsin-Madison, sieht nach dem Vorfall bei AP vor allem die Medien-Industrie in der Pflicht. „Sie muss die Sicherheitsvorkehrungen überprüfen und nennenswert verbessern.“ General Keith Alexander, Chef der mächtigen NSA, würde im Geiste wohl zustimmen. Durch ihn weiß der Kongress in Washington, dass die Gefahr einer großangelegten Cyber-Attacke „die Infrastruktur des Landes und seine Wirtschaft lahmlegen kann“ und Amerika darauf auf einer Skala von 1 bis 10 nur bis 3 vorbereitet sei. Die Gefahr sei größer als jeder herkömmliche Terrorangriff. Alexanders Behörde rüstet darum drastisch auf. Allein die Abteilung für die Gefahrenabwehr im Netz wird auf 5000 Spezialisten fast verfünffacht.