Dortmund.

. Wer es sich so richtig geben will als Borusse, guckt am Dienstag mal auf die Homepage von Mario Götze, dem Dortmund-Star, der ein Bayern-Star werden will: so viel Schwarz-Gelb, so viel „echte Liebe“! „Mein Dortmund“ steht da, „Meine Borussia“ und darunter „Der Verein meines Herzens“. Wem da noch nicht Sicht und Sinne verschwimmen, erkennt im Kleingedruckten: „Es gibt nichts Größeres für mich.“ Kein Wunder, dass da im Netz ein Wutanfall losbricht, „Shitstorm“, nennt man sowas heute. Und wenn Götze auch keine Gelegenheit findet, auf irgendeiner seiner Seiten ein Wort zum Wechsel zu posten: Die Kommentarfunktion lässt er löschen.

Auf Facebook kündigen die Fans dem Star die Freundschaft

Das geht auf Facebook nicht: „Verräter“ nennen die Leute dort, „Judas“, sie werfen ihm Charakterschwäche vor, raten ihm, „nie wieder“ das schwarzgelbe Trikot zu tragen, und wünschen ihm „viel Spaß auf der Bank“. Und das sind die freundlichen Grüße. Beleidigend werden die Schreiber, schlagen unter der Gürtellinie zu und auch noch auf die Bayern ein, die sich trauen, ein freundliches „Willkommen in München“ zu hinterlassen. Über 10 000 neue Kommentare stehen nachmittags auf des Fußballers Facebook-Seite.

Zeitgleich schrumpft die Zahl seiner „Freunde“. Tausende wollen Beobachter gezählt haben, die ihren virtuellen Fan-Status löschen. Aber was sind das für Fans? Die „besten der Welt“, wie sie in Dortmund immer sagen?

Es wird Mittag, bis Einzelne versuchen, dem Shitstorm mit Gegenwind beizukommen: „Kümmert euch besser drum, dass Dortmund ins Finale kommt!“, mahnt Manfred. Und, hallo, hat eigentlich ein Hahn gekräht, als der BVB Marco Reus aus der Mönchengladbacher Mannschaft kaufte? „Es ist sein Recht“ zu wechseln, schreibt die Fan-Postille „Schwatz-Gelb“. Aber „kein Verständnis zu haben, ist unser Recht“.

Auch in der durchaus realen, bewölkten Welt des BVB-Trainingsgeländes will es niemand wahrhaben, dass Mario Götze, der Dortmunder Junge, der noch im Reihenhaus seiner Eltern im Stadtteil Kirchhörde wohnt, tatsächlich geht. „Alles was er kann, hat er hier gelernt“, ätzt eine Frau am Zaun, spürbar verärgert darüber, dass der Jung-Millionär zum großen Liga-Konkurrenten geht – und das auch noch am Tag vor dem Champions League-Halbfinal bekannt wird!

Ganz anders geht Niko Grabellos mit der niederschmetternden Nachricht um. Götze geht? „Find’ ich doof“, sagt der Neunjährige, der mit seinem Bruder Tobias (11) gekommen ist, obwohl das Training heute gar nicht öffentlich ist. Mario Götze ist Nikos Lieblingsspieler. Nun ist er „ziemlich traurig“. Niko weiß schon gut übers Fußballgeschäft Bescheid: Dass Götze irgendwann den Verein wechseln würde – schon klar. „Aber doch nicht jetzt schon.“ Und nicht zu den Bayern!

Ein Akt der Trauerarbeit

Ein paar Kilometer weiter südlich, vor dem Dortmunder Stadion, bringen sich Fernseh-Teams aus halb Europa in Stellung. Die Pressekonferenz mit BVB-Trainer Jürgen Klopp und Mittelfeld-Spieler Jakub „Kuba“ Błaszczykowski – sie gilt dem Spiel gegen Madrid am heutigen Abend. Normales Programm, eigentlich. Nun wird die Fragerunde zu einem im harten Fußball-Alltag ungewöhnlichen Akt der Trauerarbeit. Es gibt natürlich nur ein Thema im aus allen Nähten platzenden Presseraum: Mario Götze. Die Dolmetscherin, eigens für die vielen spanischen Journalisten engagiert, kommt kaum hinterher, all die Fragen zum Fall Götze zu übersetzen, die auf den sichtlich angefassten BVB-Coach niederprasseln.

Draußen an der Strobelallee geht derweil Steffen Beyer auf und ab: Der Verwaltungsangestellte aus Thüringen ist schon am Wochenende nach Dortmund gekommen, um „seinen“ BVB gegen Mainz siegen zu sehen, verlängerte noch ein paar Tage – und jetzt? „Sehr, sehr schade“ findet Beyer, dass Götze die Vereinsfarben ablegen will, die auch er gerade trägt. „Ausgerechnet zum größten Rivalen zu wechseln, das ist schon der Hammer.“ Der 23-Jährige will dabei nicht ausschließen, dass es „Götze auch ums Geld geht. Wäre er aber ins Ausland gegangen, könnte ich das besser ertragen.“

Mit Kopfschüttelnd quittiert Fakhro Zaka aus Essen den Wechsel. Der 32-Jährige ist heute zum Dortmunder Stadion gefahren in der Hoffnung, Real Madrid beim Training zu erleben. „Ich verstehe nicht, warum das jetzt herauskommt, vor diesem irre wichtigen Spiel“, sagt er. Und dann verrät er, warum er sich eigentlich freut über Götzes Entscheidung, man darf wohl annehmen, als einziger in dieser schwarz-gelben Stadt: Zaka ist Fan – von Bayern München.