Straßburg/Berlin. .
Der Brüsseler Plan zur Stabilisierung des Handels mit Rechten auf Luftverschmutzung ist im EU-Parlament gescheitert. Eine Mehrheit aus Christdemokraten, Konservativen und Liberalen lehnte den Vorschlag der EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard ab, die Zahl der Erlaubnisscheine („Zertifikate“) für den Ausstoß von CO2 vorübergehend zu verknappen, damit der Preis wieder steigt und Investitionen in alternative Energien sich lohnen. Das Votum ist eine politische Niederlage für Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU), der sich für die Maßnahme stark gemacht hatte. Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) vertritt die Gegenposition.
Altmaier kritisierte das Abstimmungsergebnis in der „Westfalenpost“ als einen „ernsten Rückschlag für das System des europäischen Emissionshandels, weil wir jetzt davon ausgehen müssen, dass der Börsenpreis für die Verschmutzungszertifikate dauerhaft im Keller bleiben wird“. Vom europäischen Zertifikatehandel werde „nun leider kein Signal und kein Anreiz zur CO2-Reduktion ausgehen“. Rösler hingegen begrüßte die Entscheidung: „Eine Verknappung der Emissionszertifikate wäre ein Eingriff in ein funktionierendes Marktsystem“, sagte der Bundeswirtschaftsminister gestern in Berlin. „Eine Verknappung würde unsere Industrie zusätzlich belasten und der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und der gesamten EU schaden.“
Hart umkämpfte Entscheidung
Die Abstimmung im Straßburger Plenum war eine der am härtesten umkämpften Entscheidungen in jüngster Zeit. Sozialdemokraten, Grüne und Linke standen hinter Hedegaards Vorschlag, weil nur so der Preisverfall an der Zertifikate-Börse gestoppt werden könne. Die meisten Christdemokraten, Konservativen und Liberalen hielten dagegen, die sinkenden Preise seien ein normaler Markt-Vorgang, in den man nicht mit kurzfristigen Korrekturen eingreifen solle. Angesichts des Zwists in der Berliner Regierungskoalition hatten sich besonders die deutschen Parlamentarier aus dem schwarz-gelben Lager mit ihrem Votum schwer getan. Die Entscheidung war eng: 334 stimmten gegen die Zertifikate-Verknappung („backloading“), 315 dafür.
Umweltschutz- und Wohlfahrtsverbände kritisierten den Straßburger Entscheid scharf. „Ein kohlrabenschwarzer Tag für den Klimaschutz“ urteilte Brot für die Welt. Wirtschaftsverbände auf europäischer und deutscher Ebene waren hingegen voll des Lobes. „Das Parlament hat heute kurzsichtigen Markteingriffen eine Absage erteilt“, erklärte der Zusammenschluss der Energieintensiven Industrien in Deutschland (EID). Die Klimaziele der EU würden auch so erreicht.
Der Zertifikate-Handel (EHS) gilt als Königsinstrument der europäischen Klimapolitik – mit den Markt-Methoden von Angebot und Nachfrage soll der Umgang mit Energie von umweltschädlichen Risiken und Nebenwirkungen möglichst weitgehend gereinigt werden. Das Prinzip ist einfach: Wer die Gemeinschaft belastet, indem er Kohlendioxid in die Luft bläst, dem stellt die Gemeinschaft dafür eine Rechnung aus. Je höher der CO2-Ausstoß, desto teurer wird es. Wer umsteigt auf Wind-, Sonne oder Wasserkraft, spart Geld. Das Instrument funktioniert indes nur, wenn der Preis für die Zertifikate stimmt, so dass Investitionen in klimaschonende Technik sich lohnen. Doch die Lizenzen zum Verschmutzen kosten statt der angepeilten 20 bis 30 Euro pro Tonne CO2 nur noch vier bis fünf Euro.
Zertifikate-Schwemme
Das hat zwei wesentliche Gründe: Die Mitgliedstaaten haben großzügig von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ihren Unternehmen kostenlose Verschmutzungsrechte zuzuteilen. Die Zertifikate-Schwemme wird verschärft durch Rezessionseffekte, weil die Wirtschaftskrise auf die Produktion und damit den Energieverbrauch drückt.
Klimaschützer warnen, die Krise des EHS stelle die ehrgeizigen EU-Ziele in Frage, den Kontinent auf klimaschonendes Leben und Wirtschaften umzupolen und gefährde Deutschlands politisches Großprojekt Nummer eins, die Energiewende.