Berlin. .

Falls sie im Herbst wiedergewählt wird, will Kanzlerin Angela Merkel „selbstverständlich“ vier weitere Jahre regieren. Das ließ sie gestern durch ihren Sprecher erklären. Klingt banal – unmotiviert war es nicht. Ein neuer Merkel-Biograf, der Journalist Nikolaus Blome, wettet darauf, dass sie 2015 aufhören wird. Das Datum nennt er eine „fundierte Prognose“.

Bislang fehlt ihm ein Wettgegner. Auf seine Kosten kommt Blome trotzdem. In „Bild“ wie im Fernsehen machte er auf sein Buch aufmerksam. Neben Merkel fühlte sich auch die SPD provoziert. Sie zeigte gestern Verständnis dafür, dass Merkel die Lust am Amt verloren habe. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles: „Wir werden sie schon in diesem Jahr von ihrer Last befreien.“

Den richtigen Zeitpunkt zu finden, ist schwer. Ein sauberer Abschied wäre „ein Superlativ ganz nach Merkels Geschmack“, vermutet Blome. Die Kanzler Adenauer und Erhard wurden von der eigenen Partei sanft aus dem Amt gedrängt. Kiesinger lief der Koalitionspartner davon. Brandt stolperte über die Guillaume-Affäre. Schmidt, Kohl und Schröder wurden abgewählt. Schmidt, arg isoliert in der SPD, versuchte, Herr des Verfahrens zu bleiben, als er seine FDP-Minister entließ. Aber ein sauberer Abschied – freiwillig, unbedrängt, überraschend – das gelang allenfalls einem Vize-Kanzler: Hans-Dietrich Genscher.

Als noch nicht jeder Satz von ihr auf die Goldwaage gelegt wurde, da hat Merkel als CDU-Generalsekretärin 1999 im Gespräch mit der Fotografin Herlinde Koelbl darüber sinniert, dass der Ausstieg aus der Politik schwerer sei, „als ich mir das früher immer vorgestellt habe“. Und weiter: „Aber ich will nicht ein halbtotes Wrack sein, wenn ich aus der Politik aussteige.“

Wer nicht Knall auf Fall zurücktritt, Beispiel Bundespräsident Horst Köhler, muss sein Erbe bestellt haben, persönlich wie politisch. Merkels Lehrmeister Kohl hatte sich mit Wolfgang Schäuble als Kronprinz abgefunden. Schäuble saß als Fraktionschef auch schon an einer Schaltstelle. Kohl traute ihm letztlich nicht die Führung zu, weil die Einführung des Euro anstand. „Das hätte er nicht gepackt“, vertraute Kohl Jens Peter Paul an, der an einer Dissertation über die Genesis des Euro schrieb.

Merkel mag mit der Idee spielen, vorzeitig aufzuhören. Aber alles steht unter Vorbehalt. Das macht es ihr leichter, ohne einen schalen Geschmack zu beteuern, dass sie eine volle Amtszeit regieren will. Jede andere Antwort liefe ohnehin auf eine Selbstverstümmelung hinaus, vor einem Wahlsieg und auch danach. Eine Kanzlerin mit Verfallsdatum?

Autor Blome nennt Merkel eine „Zauder-Künstlerin“. Er hat das zu schätzen gelernt. Zu Merkels Art gehört es, sich mit Fragen der Realität zu nähern. Eine dieser Fragen wäre nach einer Wiederwahl 2013: Kann ich 2017 erneut antreten? Auch dann wäre sie mit 63 Jahren immer noch jünger als ihr Herausforderer Steinbrück jetzt ist.

Ermüdung nach zehn Jahren

Blome hat für das Buch kein einziges Gespräch mit Merkel geführt. Aber er schreibt, „es war sehr überraschend zu hören, wie fast einhellig die 2015er-Prognose geteilt wird, wenn niemand fürchten muss, mit Namen zitiert zu werden“. Auf 2015 kam er, weil Merkel dann zehn Jahre im Amt wäre. Die Erfahrung lehrt, dass danach eine gewisse Ermüdung eintritt. Zudem ist es die Mitte der Legislatur: dem Nachfolger bliebe Zeit zur Profilierung.

Merkel wurde für viele Aufgaben gehandelt, in der EU, bei den UN. Es ist ihr zuzutrauen, dass ihr Ausstieg alternativlos ausfällt und sie endgültig privatisiert. In jedem Fall ist es eine Spekulation, aus der ein Steinbrück keinen Honig saugen wird. Er ist 66. Auch ihn wird man fragen, ob er im Fall des Wahlsieges vier Jahre regieren will. Bis 70?