Essen. . Vor allem in den Krisenländern im Süden des europäischen Kontinents wächst die Kritik an der Rolle Berlins in der Debatte um notwendige Wirtschafts- und Finanzreformen. Die einstigen Erzfeinde Frankreich und Polen dagegen haben kaum Vorbehalte. Ein Überblick über die Stimmungen in den wichtigsten Partnerländern der Bundesrepublik.
Deutscher Egoismus, Oberlehrertum, Merkel-Hitler-Vergleiche: Deutschland ist bei vielen Ländern in Europa nicht gut gelitten. Grund ist die Rolle der Bundesregierung in der Debatte um das Vorgehen gegen die Schuldenkrise in Europa. Von "Merkels Spardiktat" ist da die Rede, mitunter gar von der "Sprache des Faschismus":
Zypern: Offener Hass auf Merkel
Erst Mitte Januar war Kanzlerin Angela Merkel auf Zypern. Sie nahm den langen Flug ins östliche Mittelmeer auf sich, um dem konservativen Präsidentschaftsbewerber Nikos Anastasiadis den Rücken zu stärken. Stolz posierte der Zyprer damals mit der Kanzlerin. Inzwischen Staatschef, dürfte Anastasiadis derzeit keinen großen Wert darauf legen, gemeinsam mit Merkel abgelichtet zu werden.
Denn die deutsche Regierungschefin ist für viele Zyprer dieser Tage die meistgehasste ausländische Politikerin. Demonstranten tragen Merkel-Porträts mit Hitlerbärtchen durch die Straßen der Inselhauptstadt Nikosia. „Hitler und Merkel, derselbe Scheiß“ stand auf einem Plakat. Finanzminister Wolfgang Schäuble wurde vorgeworfen, er spreche „die Sprache des Faschismus“.
Griechenland: Grausame Erinnerungen
Die Bilder auf Zypern gleichen jetzt denjenigen, die man aus Griechenland schon seit drei Jahren kennt. Deutschland, so sehen es viele Griechen, wolle Europa unbarmherzig unterwerfen und den Krisenländern im Süden unmenschliche Sparmaßnahmen aufzwingen.
Historische Altlasten machen sich bemerkbar: Manche Kommentatoren und Politiker vergleichen „Merkels Spardiktat“ mit der Zeit der deutschen Besatzung im 2. Weltkrieg, als 300.000 Griechen verhungerten und erfroren, weil die Wehrmacht Lebensmittel und Brennstoffe konfiszierte. Demonstranten in Athen hängen auf ihren Plakaten Angela Merkel gern ein Hakenkreuz um.
Aber vielleicht sollten sie sich um die eigenen Rechtsextremisten mehr Sorgen machen: Die Neonazi-Partei „Goldene Morgenröte“ ist laut Umfragen drittstärkste politische Kraft des Landes.
Türkei: Fragile Freundschaft
Das Verhältnis zu Deutschland und den Deutschen ist seit jeher stark von Gefühlen geprägt. Und wenn die Wogen der Emotionen erst einmal hochschlagen, geht die Vernunft schnell baden. Das erlebt man gerade wieder. Der Streit um den Zugang türkischer Journalisten zum NSU-Prozess sowie die Wohnungsbrände von Köln und Backnang, wo eine türkischstämmige Frau und ihre sieben Kinder starben, belastet das Verhältnis – vor allem auf der politischen Ebene und in den Medien.
Von einer anti-deutschen Stimmung in der Türkei zu sprechen, wäre aber falsch. Wenigen Völkern fühlen sich die Türken so verbunden wie den Deutschen.
Die Freundschaft hat historische Wurzeln, die bis ins 19. Jahrhundert zurückgehen. Sie stützt sich auch auf die vielen persönlichen Begegnungen beider Völker seit den 60er-Jahren. Jetzt zeigt sich allerdings einmal mehr, dass auf türkischer Seite diese Freundschaft sehr schnell in Enttäuschung und Misstrauen umschlagen kann.
Italien: Verachtung für die „Oberlehrer“
Da mag Angela Merkel noch so oft Urlaub auf Ischia machen – die Sympathiewerte der Kanzlerin in Italien wird das kaum beflügeln. Angela Merkel wird von vielen Italienern als eigentlicher Hauptgrund für die wirtschaftliche Krise betrachtet.
Dass die Politik in Rom seit Jahren mit wichtigen Reformen nicht voran kommt, blenden viele aus. Als Merkel zur österlichen Erholung auf Ischia eintraf, stellte Stefano Caldoro, Präsident der Region Kampanien, ein Video ins Internet, auf dem er der Kanzlerin empfahl, sich neben den Schönheiten der Insel auch „einige schwierige Viertel unserer Region anzuschauen“. Denn: „Deutschland zieht Vorteile aus der Krise der anderen.“
Die Deutschen werden in Italien als die Oberlehrer und arroganten Besserwisser wahrgenommen, die Italien nur belächeln. Entsprechend sorgte Peer Steinbrücks „Clown“-Zitat über die Politiker Berlusconi und Grillo für Aufregung.
Der aufgrund der Hängepartie nach der Parlamentswahl immer noch amtierende Premier Mario Monti wurde bei eben dieser Wahl regelrecht abgestraft: Wirtschaftsfachmann Monti, der auch der „italienische Preuße“ genannt wird, galt mit seiner Sparpolitik bei vielen als „Marionette der Deutschen“.
Spanien: Kritik am „deutschen Egoismus“
An vielen spanischen Stammtischen weiß man, wer an der Euro-Krise schuld ist: „Alemania“ und „la Merkel“. Weil die Bundesregierung mit ihrem „radikalen Spardiktat“ in der EU den Aufschwung abwürge. Und zudem die Not der Schuldenländer ausnutze, um sich am Geldmarkt zu Dumpingzinsen zu finanzieren. Das positive Deutschland-Bild in Spanien, das früher von der Bewunderung geprägt war, ist angekratzt. Es mischt sich mit kritischen Tönen über „deutschen Egoismus“ und „deutsche Europafeindlichkeit“.
Der Stimmungsumschwung spiegelt sich auch in den spanischen Medien, die heftig gegen „Alemania“ schießen mit Schlagzeilen wie: „Deutschland bereichert sich an der Krise.“ Berlin ist derzeit zweifellos der beliebteste Prügelknabe in der spanischen Euro-Debatte.
„Wir brauchen ein Deutschland, das europäischer ist, und ein Europa, das weniger deutsch ist“, tönt es aus der großen Sozialistischen Partei, die im nationalen Parlament derzeit in der Opposition sitzt. Dieser Ausruf fasst die Stimmung im Lande recht zutreffend zusammen.
Auch Spaniens konservativer Regierungschef Mariano Rajoy nimmt seine Kollegin Angela Merkel nicht mehr so in Schutz wie früher, obwohl er bei seinem Berlin-Besuch Anfang 2013 brav lobte: „Deutschland ist eine große Nation.“ Rajoy fordert mehr Entgegenkommen Berlins – vor allem bei Sparauflagen für sein Königreich, das bereits mit seinen Banken am Euro-Rettungstropf hängt.
Portugal: Offener Protest, offene Bewunderung
Ähnlich durchwachsen ist die Lage im Nachbarland Portugal, das bereits im Frühjahr 2011 unter den Euro-Rettungsschirm flüchten musste: Als Merkel Ende 2012 die Hauptstadt Lissabon besuchte, fuhr sie nicht an jubelnden Menschen, sondern an Protestplakaten vorbei, auf denen stand: „Merkel raus!“
Portugals konservativer Ministerpräsident Pedro Passos Coelho gilt daheim derweil als treuer Verbündeter Deutschlands. Passos Coelho hat sogar den Ruf, „deutscher als Merkel“ zu sein. Für den portugiesischen Regierungschef, dem im eigenen Land der Wind scharf ins Gesicht weht, ist „Alemanha“ ein Vorbild: „Ich möchte ein industrialisiertes, offenes Land – das sind deutsche Ideen.“
Frankreich: Junge finden Deutschland „cool“
82 Prozent der Franzosen, so eine Umfrage von 2012, haben ein „gutes Bild“ von den Deutschen. Vor allem junge Franzosen finden Deutschland, insbesondere seine lebendige Hauptstadt, zunehmend „cool“. Nur sechs Prozent bringen mit den Deutschen Reizworte wie „Hitler“ und „Nazi“ in Verbindung.
In die Bewunderung für den reichen Nachbarn mischt sich nur gelegentlich eine Prise Neid oder gar Hass. Hinzu kommt eine schon traditionelle Furcht vor einem mächtigen Deutschland, das wirtschaftlich so stark ist, dass es Frankreich an die Wand drückt. Irritiert nehmen Kommentatoren zugleich zur Kenntnis, dass Frankreich unter Staatschef Hollande der Kanzlerin in Brüssel zunehmend das Heft des Handelns überlässt.
Hinter vorgehaltener Hand wird zugegeben, dass sich zaudernde Minister in der Zypern-Krise lieber in die Büsche geschlagen und Schäuble im Stich gelassen hätten. Dazu passt die „Le Monde“-Schlagzeile: „Deutschland – Sündenbock im krisengeschüttelten Südeuropa“. Henri Ménudier, Politikprofessor an der Pariser Sorbonne, sagt: „Angela Merkel ist die stärkste Frau in der EU, aber in Frankreich gibt es keinen Anti-Germanismus.“
Polen: Klares Ja zur Budget-Disziplin
Die Kritik prasselte schon auf Deutschland nieder, doch Polens Premier Donald Tusk machte sich nichts daraus: Am Warschauer Regionalgipfel der osteuropäischen Visegrad-Staaten hatte der Pole nur ein Auge für Angela Merkel. Kaum war der Pressetermin vorbei, lächelten sich die beiden an und verließen innig plaudernd den Saal. Den französischen Präsidenten Hollande ließen sie genau so links liegen wie die versammelten Premierminister. Das Signal war klar: In der EU setzt Polen nur auf Deutschland.
Und dies trotz aller Wunden der deutschen Besatzungsgeschichte. Warschau teilt so auch Berlins Forderung nach Budgetdisziplin; ohne Vorleistung gibt es aus polnischer Sicht kein Anrecht auf Finanzhilfe und Schuldenerlass seitens der EU. Auch den Polen wurden schließlich während der Transformation große Opfer abverlangt.
Getrübt wird das positive Deutschlandbild einzig ab und an durch Ignoranz und Stereotypen unter anderem in deutschen Historienfilmen wie „Unsere Mütter, unsere Väter“, in dem die polnische Untergrundarmee AK pauschal als antisemitisch charakterisiert wurde. Doch diese Wellen machen noch lange keinen Sturm aus.
Großbritannien: Furcht vor dem „Vierten Reich“
„Schadenfreude“ ist so ein deutsches Wort, das die Briten in ihren eigenen Sprachschatz übernommen haben – und Schadenfreude ist genau das, was viele von ihnen fühlen. Die Insel wollte nie die Euro, hat stets vor den Gefahren einer Währungsunion gewarnt. In der Krise fühlen sie sich nun in ihrer Skepsis bestätigt.
Dass die Teutonen trotz der schlechten Nachrichten aus Südeuropa am Euro festhalten, ja, sogar noch eine engere Integration fordern, löst absolutes Unverständnis aus. „Schicksalsgemeinschaft“ – so lautet das neue deutsche Wort, mit dem sich die Briten den Kurs der Teutonen zu erklären versuchen.
Viel weiter reicht ihr Bemühen allerdings nicht. Die deutschen Chef-Allüren auf dem Kontinent sind Briten quer über alle politischen Schattierungen zutiefst zuwider. „Ist Deutschland zu mächtig für Europa?“ fragt der linksliberale „Guardian“. Die „Daily Mail“, Kampfblatt der Unterschicht, spricht vom „fiskalpolitischem Diktator“: „Das Vierte Reich hat begonnen, ohne dass ein Schuss dafür nötig war.“
Der Stil, mit dem Deutschland wirtschaftlich schwächeren Ländern die Regeln diktieren will, ist dabei das Hauptproblem. Denn Respekt hat Germany sich bei den Briten satt verdient: Die eiserne Mrs. Merkel, unser Ausbildungssystem und systematisches Denken, Handwerkskammern und Aufbau Ost – auf all das wird mit großer Bewunderung geblickt.
USA: Spart nicht nur, investiert auch!
Mit dem Besuch von Ex-Finanzminister Timothy Geithner beim Fest der Einheit am 3. Oktober in der deutschen Botschaft in Washington waren die deutsch-amerikanischen Unstimmigkeiten auch symbolisch beigelegt. Vorher hatte die US-Regierung Finanzminister Wolfgang Schäuble mehrfach zu verstehen gegeben, er mögen doch bitte mehr gegen die auf die Weltwirtschaft übergreifende Euro-Krise tun – und das vor allem schneller.
Seit das Schlimmste in Brüssel verhindert wurde, herrscht nun Ruhe. Nur ganz selten klingt noch Kritik nach der Lesart durch: Spart nicht nur, investiert auch! Amerika hat parteiübergreifend nicht nur kein Problem mit einem „deutschen Europa“ – es unterstützt die dominante Rolle Berlins und erwartet noch mehr Führungsstärke gegen Widerstände von Lobbygruppen oder Südländern, die das Finanzsystem abermals erschüttern könnten.
Präsident Obama beobachtet mit Bewunderung, wie geräuschlos die deutsche Wirtschaft die Folgen der Finanzkrise geschultert und dabei ihre starke Export-Position behauptet hat. In vielen Reden von Obama, der Kanzlerin Angela Merkel als starke, verlässliche und unaufgeregte Staatsmanagerin überaus schätzt, erscheint neben China oft Deutschland als Vorbild: etwa bei den erneuerbaren Energien, im Bildungssystem oder bei den Sozialleistungen. Die USA wollen, dass Berlin in der EU den Ton angibt.