Washington. Mit Julia Pierson steht zum ersten Mal in der 148-jährigen Geschichte des Secret Service eine Frau an der Spitze des amerikanischen Geheimdienstes, der Präsidenten und Staatsgäste schützt. Die 53-Jährige begann ihre Laufbahn als einfache Polizistin in Florida.
Als Julia Pierson Anfang der 80er Jahre in ihrer Heimatstadt Orlando als Polizistin Streife ging, fiel ihrem damaligen Chef Mike McCoy schon früh eine besondere Gabe auf: „Sie brachte die Menschen mit ihrer Überzeugungskraft dazu, das zu tun, was sie wollte. Meist ohne Gewalt.“ Fähigkeiten, die der 53-jährigen Kriminologin in ihrem neuen Job das politische Überleben sichern könnten. Pierson befehligt seit Mittwoch einen der schillerndsten Sicherheitsdienste Amerikas: den Secret Service (USSS).
Jene 1865 von Präsident Abraham Lincoln zunächst als Geldfälscherjäger gegründete Truppe, die heute mit 3500 zivilen und 1500 uniformierten Agenten weltweit für die Sicherheit der höchsten US-Repräsentanten und deren Familien Sorge trägt, auswärtige Staatsgäste beschützt und immer noch Geldwäscher verfolgt. Mit Pierson, just von Präsident Barack Obama ernannt, bricht der den Steuerzahler im Jahr rund 1,5 Milliarden Dollar kostende Dienst mit einer Tradition. Noch nie hat ein Frau der Männerwirtschaft (zehn Prozent Frauenanteil) vorgestanden.
Sex-Skandal in Kolumbien
Während andere Länder bereits vor Jahren Führungsebenen im Bereich der inneren Sicherheit weiblicher machten - man erinnere an Stella Rimington, die 1992 den britischen Geheimdienst MI 5 übernahm - gingen die Uhren in den USA bis zuletzt anders. Dann kam vor einem Jahr der Sex-Skandal von Kolumbien.
Und die wegen ihrer einschlägigen Arbeitskleidung (dunkle Anzüge, Audio-Knopf im Ohr, verspiegelte Sonnenbrille, entschlossener Gesichtsausdruck) auch außerhalb Hollywoods „Men in Black“ genannten Spezial-Agenten gerieten schwer in Misskredit. In Vorbereitung eines Obama-Trips nach Cartagena hatte sich ein Dutzend Secret Serviceler mit käuflichen Damen eingelassen, diese aber zum Teil nicht den Tarifen gemäß bezahlen wollen. Sicherheitsrisiko - und überhaupt: gegen die Hausordnung!
Paula Reid, Secret Service-Chefin im Büro Miami, einer von 165 Zweigstellen des in Washington beheimaten Dienstes weltweit, übernahm die internen Ermittlungen und zog ihre testosteronal aus dem Ruder gelaufenen Kollegen zur Rechenschaft. Nach wochenlangem Mediengewitter, Verschärfungen der Verhaltensmaßregeln (zehn Stunden vor Dienstbeginn kein Alkohol...) und peinlichen Anhörungen im Kongress nahmen mehrere Agenten und deren Vorgesetzte ihren Hut.
Secret Service muss sich ändern - weniger Macho-Attitüde, mehr Grips
Auch Mark Sullivan, langjähriger Chef des Secret Service, schied aus. Nicht ohne bis zum Schluss zu betonen, dass Kolumbien ein Ausreißer gewesen sei, der nicht auf ein generelles Problem im Secret Service schließen lasse, in dem Beruf gerne mit Berufung gleichsetzt wird und Agenten mental darauf eingestellt sind, im Falle eines Falles als lebende Schutzschilde für Obama & Co. zu fungieren. Parlamentarier wie die Demokratin Carolyn Maloney hielten dagegen: „Wäre eine Frau an der Spitze gewesen, wäre Cartagena nie passiert.“
Obamas Entscheidung für Pierson, die einst Präsident George H.W. Bush beschützte und seit fünf Jahren als Personalchefin und Geschäftführerin die ranghöchste Frau im Dienst ist, wird in Washington als Signal verstanden: Die Kultur des Secret Service muss sich ändern - weniger Macho-Attitüde, mehr Grips.
Ein kühl sezierender Verstand, hohes Organisationstalent und 30 Jahre intime Kenntnis der Behörde machen Pierson, die auf offiziellen Fotos wie die ältere Schwester von FBI-Sonderermittlerin Clarice Starling in „Das Schweigen der Lämmer“ ausschaut, aus Sicht des Weißen Hauses zur idealen Besetzung. „Julia ist enorm qualifiziert“, sparte Obama nicht mit Lob. Oder wie Mike McCoy, ihr alter Polizeichef aus Orlando es formuliert: „Sie hätten keine bessere Wahl treffen können.“