Düsseldorf/Berlin.. Das Bundesinnenministerium geht gegen salafistische Vereine vor. Bei insgesamt 20 Personen in Hessen und Nordrhein-Westfalen gab es Razzien. Die Durchsuchungen dienten der Beschlagnahmung des Vermögens der radikalislamischen Vereine und der Auflösung deren Infrakstruktur. Sorge bereitet den Ermittlern der rasche Zulauf zur slafistischen Szene in NRW.
Salafismus war bis 2009 in NRW ein Rätsel – und eine unbekannte Größe. Als „Einpeitscher eines kompromisslosen Islam“ berichtete erstmals die „Zeit“ über ein Bonner Netzwerk radikaler Islamisten. Heute vergeht kaum ein Monat, ohne dass gewaltbereite Salafisten in die Schlagzeilen rücken. Am Mittwoch durchsuchte die Polizei mehrere Objekte in Gladbeck, Düsseldorf und Solingen. „Fast alle terroristischen Netzwerke in Deutschland sind aus salafistischen Milieus erwachsen“, warnt Innenminister Ralf Jäger (SPD).
Salafismus, abgeleitet vom arabischen „al-salaf al-salih“ (die frommen Altvorderen), definiert der NRW-Verfassungsschutz als fundamentalistische Strömung, die auf radikale Weise religiös ist, aber nicht zwangsläufig extremistisch. Keine islamistische Szene in NRW hat vergleichbar viel Zulauf. Die Zahl der Salafisten an Rhein und Ruhr hat sich allein im vergangenen Jahr auf 1000 verdoppelt. Und: Sie wird weiter wachsen.
Gewaltbereiter harter Kern
Verfassungsschutzchef Burkhard Freier stuft 90 Prozent der Anhänger als „politische Salafisten“ ein, die zwar Gewalt zur Durchsetzung ihrer Vorstellungen für legitim halten, sich aber auf „Missionierungsarbeit“ beschränken. Als bedrohlich bewerten die Behörden den rund 100 Köpfe zählenden gewaltbereiten Kern von Dschihadisten, die sich dem bewaffneten Kampf für die Errichtung eines islamischen Staats verpflichtet sehen.
„An-Nussrah“ in Gladbeck, das am Mittwoch verboten wurde, ist laut Bundesinnenministerium ein Ableger des salafistischen Vereins „Millatu Ibrahim“, gegen den bereits im Juni 2012 ein Verbot verhängt worden war. In den Monaten danach reisten nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden allein 20 Salafisten aus NRW – und bundesweit 40 – aus: mit dem mutmaßlichen Ziel ausländischer Trainingscamps. Rückkehrer sind laut Freier „besonders gefährlich“, da von ihnen eine potenzielle Anschlagsgefahr drohe.
20 Moscheen im Visier
Von den 850 Moscheen in NRW hat der Verfassungsschutz etwa 20 im Visier, weil sie „auffällig salafistisch“ seien und dort auch Hassprediger verkehrten. Allerdings gibt es laut Freier in der Regel keine festgefügte Verbindung zu Moscheevereinen, die sich häufig auch von Salafisten distanzierten. Zentrum der Beobachtung ist das Rhein-Ruhr-Gebiet mit den Städten Aachen, Bochum, Bonn, Düsseldorf, Köln, Solingen und Wuppertal.
Vor allem an Hochschulen, so der Behördenchef, versuchten die radikalen Islamisten um neue Anhänger zu werben. Zehn Prozent der salafistischen Szene sind deutscher Herkunft, ebenso viele sind Konvertiten. Besonders junge Leute, die unter mangelnder Anerkennung leiden und aus zerrütteten Familien kommen, seien anfällig für salafistische Bestrebungen. Religiöse Motive spielten dabei weniger häufig eine Rolle.
Schwerpunkt NRW
NRW war auch Schwerpunkt der Razzia am Mittwoch. Hier sowie in Hessen durchsuchten 120 Polizeibeamte ab 6 Uhr insgesamt 22 Räume. Beschlagnahmt wurden Handys, Laptops, Propagandamaterial und Bargeld von 20 Aktivisten, jungen Männern im Alter zwischen 20 und 30 Jahren – meist Deutsche, die zum Islam übergetreten sind, außerdem Radikale aus Marokko, Jordanien, der Türkei, Bosnien und Indien.
Unter den bundesweit etwa 1000 gewaltbereiten Salafisten befinden sich etwa 130 sogenannte Gefährder – also Personen, denen man jederzeit einen Terroranschlag zutraut und die rund um die Uhr beobachtet werden. Gegen ihre Vereine geht der Staat vor, weil sie auf aggressiv-kämpferische Weise gegen die Werteordnung des Grundgesetzes und die Religionsfreiheit verstoßen. „Dafür haben wir Belege“, sagt Hans-Georg Maaßen, Präsident des Verfassungsschutzes.
Im Internet aktiv
Vor allem im Netz sind Salafisten sehr aktiv und erfolgreich. Sie werben für den Dschihad, teils auch für den „Geld-Dschihad“. Geld sammelte auch die Gruppe „An-Nussrah“ in Gladbeck. Außerdem ging die Polizei gegen „Islamische Audios“ und „DawaFFM“ mit Sitz in Frankfurt vor. Für die Ermittler ist es eine Abwägungssache, ob es zu einem Verbot kommt. Manchmal sieht man davon ab, um die Leute besser zu beobachten. Manchmal ist ein Signal angebracht, „um der Hetze und Propaganda einen Riegel vorzuschieben“, wie es in Berliner Sicherheitskreisen heißt.
Die 20 Salafisten, deren Wohnungen durchsucht wurden, sind Propagandisten, Hetzer, nach ersten Erkenntnissen aber keine Kämpfer. Verhaftet wurde niemand. Die eigentliche Arbeit beginnt erst jetzt: beschlagnahmte Dateien und Materialien werden analysiert, Verbindungsdaten untersucht. Daraus ergeben sich oft Ansätze für weitere Verbote, Verhaftungen und Ausweisungen. Es war gestern die letzte Aktion. Nach Verboten ziehen sich Anhänger meist aus der Szene zurück.