Tokio. Während sich Deutschland aufgrund der Katastrophe in Fukushima dem Atomausstieg verschrieben hat, ist in Japan eine andere Tendenz zu erkennen. Das Land schickt sich an, alle heruntergefahrenen Atomkraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen - unter neuen Auflagen. Die Atomgegner haben es schwer.
"Schafft die Atomkraftwerke ab!" Vor dem Sitz des japanischen Regierungschefs schallen Protestrufe aus zahlreichen Lautsprechern durch die kalte Abendluft. Etwa 3000 Menschen haben sich versammelt, um ihren Widerstand gegen die Atomenergie kundzutun. Doch egal wie laut die Demonstranten rufen, bei Ministerpräsident Shinzo Abe scheinen sie auf taube Ohren zu stoßen.
Japan werde die derzeit heruntergefahrenen Atomkraftwerke im Lande wieder in Betrieb nehmen, sobald ihre Sicherheit bestätigt sei, ließ der seit Dezember amtierende Rechtskonservative dieser Tage die Öffentlichkeit wissen. Die Botschaft ist klar: Der von seinem Vorgänger beschlossene Atomausstieg bis 2040 wird rückgängig gemacht.
Zwei von 50 Reaktoren in Betrieb
Von den 50 Reaktoren im Land sind derzeit nur zwei in Betrieb - im AKW Oi in der Provinz Fukui. Nach der Katastrophe im AKW Fukushima Daiichi am 11. März 2011 waren sämtliche Reaktoren im Lande wegen Sicherheitsüberprüfungen und Wartungsarbeiten Schritt für Schritt heruntergefahren worden. Für rund zwei Monate, zwischen Mai und Juli vergangenen Jahres, war die drittgrößte Wirtschaftsnation der Welt völlig frei von Atomstrom.
Schon frohlockten Gegner der Kernenergie, Japan werde dem Beispiel Deutschlands folgen und ganz aus der Atomenergie aussteigen. Tatsächlich sah es für kurze Zeit ganz danach aus. Abes Vorgänger Yoshihiko Noda verkündete im September 2012, Japan werde bis Ende der 2030er Jahre aus der Atomenergie aussteigen. Doch dann erlitt Nodas Partei bei Unterhauswahlen eine verheerende Niederlage. Abes Liberaldemokratische Partei kehrte an die Macht zurück. Jene LDP, die verantwortlich für eine Atompolitik ist, bei der jahrzehntelang Sicherheitsfragen wie in Fukushima vernachlässigt worden waren.
Strikte Auflagen sollen für Sicherheit sorgen
Die Entscheidung, wann die Atomreaktoren im Lande wieder angefahren werden, will Abe auf Grundlage neuer Sicherheitsstandards treffen. Vor dem GAU in Fukushima hatten solche Sicherheitsuntersuchungen den AKWs stets bescheinigt, die sichersten der Welt zu sein. Die künftigen Standards, die die neue Atomaufsichtsbehörde im Juli dieses Jahres in Kraft setzen will, sollen die striktesten der Welt sein, heißt es nun. Ohnehin dürfte Abe erst nach der Oberhauswahl im Juli grünes Licht zum Wiederanfahren der Reaktoren geben. Abes LDP hat im Oberhaus keine Mehrheit, braucht sie aber für eine stabile Regierung.
Um die Wahl zu gewinnen, pumpt er derzeit ohne Rücksicht auf die gigantische Staatsverschuldung massiv Milliardensummen in öffentliche Bauprojekte und hievt einen Verfechter einer drastischen Lockerung der Geldpolitik an die Spitze der Notenbank. Die Märkte jubeln und feiern seine "Abenomics". Und wenn im Sommer wieder von der Gefahr von Stromengpässen mit schweren Folgen für die Wirtschaft die Rede sein wird, hätte Abe Argumente, sein Ja zum Wiederanfahren der Atomreaktoren auch den noch skeptischen Bürgern zu vermitteln.
Weniger Menschen gehen auf die Straße
Umso mehr hoffen die noch verbliebenen Anti-Atom-Aktivisten im Lande, die seit Fukushima in der Bevölkerung gewachsene Ablehnung gegenüber der Kernenergie aufrechterhalten zu können. Seit März vergangenen Jahres demonstrieren sie jeden Freitag vor dem Sitz des Ministerpräsidenten. Als sich die Vorgängerregierung anschickte, die Oi-Reaktoren wieder hochzufahren, schwoll die Zahl der Demonstranten von 300 auf 200 000 an. Jetzt, da die LDP wieder an der Macht ist, sind es jedoch längst nicht mehr so viele.
Entmutigen lassen sich die Atomgegner dadurch aber nicht. Die Wähler hätten nicht für Abes LDP gestimmt, sondern gegen die Vorgängerregierung. Die Zahl der Atomgegner in der Bevölkerung sei also nicht notwendigerweise geringer geworden, sagte ein Sprecher. (dpa)