Berlin. .
Mit 13 ging Steven Hartung zu seinem ersten Rechtsrock-Konzert. Mit 18 gehörte er bereits zum Führungszirkel einer Neonazi-Kameradschaft. Mit 21 kamen die Gewissensbisse. „Damals habe ich mich aus der Szene zurückgezogen“, erklärt der Thüringer. Doch der Weg vom Rückzug bis zum Ausstieg ist für einen langjährigen Rechtsradikalen steinig. Steven Hartung fand Begleiter bei Exit Deutschland – und brach die Brücken zur Neonazi-Szene ab.
Der Kriminalist Bernd Wagner und Ex-Neonazi Ingo Hasselbach gründeten Exit im Jahr 2000. Sie wollten Rechtsradikalen Perspektiven außerhalb der Szene aufzeigen. 480 Neonazis haben sie seitdem zum Ausstieg verholfen. Ob weitere hinzukommen, ist fraglicher denn je.
Der Initiative droht das finanzielle Aus – der Notausgang ist gefährdet. „Seit Jahren müssen wir uns durchhangeln“, sagt Exit-Mitarbeiter Fabian Wichmann. Aktuell ist noch Geld in der Kasse. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales fördert Exit mit 560 000 Euro für vier Jahre – zum 1. Mai läuft das Sonderprogramm aber aus. Fortsetzung ausgeschlossen.
„Abscheu gegen das System“
Allein durch Spenden könne sich Exit nicht finanzieren – schließlich müssen Räume angemietet und fünf Mitarbeiter bezahlt werden. Andere Behörden blocken ab. Das Familienministerium finanziert ein kleines Exit-Sonderprojekt mit 160 000 Euro. Mehr geht nicht. Das Ministerium sei nicht für den Nazi-Ausstieg zuständig, heißt es. Auch das Innenministerium will den Schwarzen Peter nicht haben und verweist auf staatliche Programme. Doch diese sind nicht gerade von Erfolg gekrönt: Aus einer Drucksache der Bundesregierung geht hervor, dass der Verfassungsschutz in elf Jahren nur 110 Neonazis beim Ausstieg half. Der Exit-Wert ist mehr als viermal so hoch.
Für Steven Hartung stand der Ausstieg über den Verfassungsschutz auch nie zur Debatte. „Das gilt für die meisten Rechtsradikalen. In der Szene herrscht Abscheu gegen das System“, erklärt der 25-Jährige. Wenn es Exit nicht mehr gibt, glaubt Hartung, fehlt zweifelnden Neonazis die richtige Alternative. „Dann bleiben sie der Szene lieber erhalten. Sie ist für viele Neonazis eine Art Ersatzfamilie. Für mich war sie das auch“, erklärt Hartung.
Steven Hartung war ein großer Strippenzieher in seiner Kameradschaft. Als er sich zurückzog, hatten die Neonazis in Ostthüringen ein Problem. „Ich wurde angesprochen, ob ich nicht wieder mitmachen will, weil nichts mehr funktionierte“, sagt Hartung. Er blockte ab, suchte Kontakt zu Exit und plante eine Zukunft außerhalb der Szene.
Bernd Wagner und Fabian Wichmann rieten ihm, Ostthüringen den Rücken zu kehren. Steven Hartung zog nach Jena, studiert dort Philosophie und Sozialwissenschaften. Manchmal holt ihn die Vergangenheit noch ein. „Jena ist eine linke Studentenstadt. Da wissen viele Leute, dass ich als Neonazi aktiv war und sprechen mich darauf an“, sagt Steven Hartung. Er redet offen über die Zeit. „Schließlich gehört die zu meiner Lebensgeschichte.“