Kairo. .

Als ob Ägypten nicht schon geplagt genug wäre. Jetzt drohen im Süden des Landes auch noch die Heuschrecken – wie vor neun Jahren, als sie gut ein Drittel der Ernte wegfraßen und ihre Schwärme sogar in Kairo einfielen. Trotz massiver Sprühkampagnen mit Insektiziden dringen nach Angaben der Behörden immer mehr Schwärme entlang des Roten Meeres vor. Die UN-Welternährungsorganisation FAO warnte, man müsse in den kommenden Wochen mit weiteren Verheerungen rechnen – eine biblische Geißel, die für Ägypten zu keinem ungünstigeren Augenblick hätte kommen können.

Denn Wirtschaftskrise und Devisenmangel schlagen erstmals auch auf die Getreideimporte durch. Im Oktober reichten die Reserven in den Silos noch für sieben Monate, inzwischen sind sie auf drei Monate gefallen. Die Zahl der Massengutfrachter, die in ägyptischen Häfen festmachten, hat sich im Januar im Vergleich zum Vorjahr halbiert, die gelieferte Tonnage ist sogar um zwei Drittel gesunken.

Keine Devisen, kein Diesel

Ägypten ist mit seinen 84 Millionen Einwohnern einer der größten Getreideimporteure der Welt. Zudem wird das Brot im Land mit Milliardensummen staatlich subventioniert – Geld, das die Regierung angesichts der Haushaltlöcher und der bereits unter Mindestniveau gesunkenen Devisenreserven nicht mehr aufbringen kann. Das Dollarbudget 2013 für Dieselimporte ist bereits komplett aufgezehrt. Endlose Schlangen von Lastwagen und Bussen an den Tankstellen; Schlägereien toben an den Zapfsäulen, der Schwarzmarkt blüht. Die Nil-Bauern können ihre Wasserpumpen nicht mehr betreiben. Kurz vor Erntebeginn Mitte März fehlt es an Treibstoff für Traktoren und Abtransport von den Feldern.

Gleichzeitig droht der Fernverkehr zusammenzubrechen. In Beni Suef 120 Kilometer südlich von Kairo haben Arbeiter die Gleise nach Oberägypten herausgerissen. Ihre Ziegelfabrik bekommt seit Anfang letzter Woche keinen subventionierten Treibstoff mehr für die Brennöfen. Das macht die Ziegel teurer, viele Arbeiter fürchten ihre Entlassung. Zehntausende aufgebrachter Reisender mussten in Beni Suef auf Minibusse umsteigen, eine Stadt, in der inzwischen auch sonst alles drunter und drüber geht.

Vor einer Woche verhafteten Polizeibeamte einen Verdächtigen, der angeblich bei einem Familienstreit einen ihrer Kollegen erschossen hatte, und prügelten ihn auf dem Friedhof kurzerhand vor den Augen der Trauergäste tot, darunter die gesamte Polizeiführung der Stadt. Auch in anderen Ortschaften gehen Bewohner auf eigene Faust auf Verbrecherjagd, lynchen angebliche Mörder und verbrennen ihre Leichen, ohne dass die Ordnungskräfte einschreiten.

Denn Ägyptens politische Führung ist total konfus und gelähmt. Symptomatisch dafür war nicht zuletzt das große Interview von Präsident Mohammed Mursi zur Lage der Nation, angekündigt für Sonntagabend 20 Uhr zur besten Sendezeit mit dem Versprechen, der Staatschef werde zu allen Problemen frank und frei Stellung nehmen. Auf dem Bildschirm erschien Mursi jedoch erst gegen drei Uhr früh in der Nacht zu Montag, das Volk lag längst in den Betten. Der Opposition bot Mursi bei der Gelegenheit erneut einen „Nationalen Dialog“ an, um Garantien für „faire und transparente“ Parlamentswahlen zu diskutieren.

„Das macht mich krank – erst setzt er per Dekret den Wahltermin fest, anschließend will er mit uns darüber reden“, schimpfte der Sprecher des Oppositionsbündnisses „Nationale Rettungsfront“, Khaled Dawoud. Denn das Verfassungsgericht, was im Juni 2012 bereits das erste post-revolutionäre Parlament wegen des Wahlrechts aufgelöst hatte, befand letzte Woche auch das neue Regelwerk in fünf Punkten für verfassungswidrig. Daraufhin dokterte das Ersatzparlament, der Schura-Rat, in einer Nacht- und Nebelaktion noch einmal an dem Text herum, bevor ihn der Präsident kurzerhand per Dekret in Kraft setzte. Die Obersten Richter erneut zu befragen, kam ihm dagegen nicht in den Sinn.

Nach dem Willens Mursis soll nun von April bis Juni in vier Etappen gewählt werden, kurz vor Ramadan am 6. Juli das neue Parlament erstmals zusammentreten. „Angesichts der politischen Polarisierung und dem Zerfall der Staatsautorität“, erklärte Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei, „ist dies der Weg in totales Chaos und Instabilität.“