Aden. .

Der 11-jährige Ahmed vertreibt sich die Zeit mit Würfeln. „Spiel der Sicherheit“ heißt der Karton mit der gestreiften Schlange, die die Unesco an die Flüchtlingskinder verteilt. „Achtung Landminen“ steht am Rand, „seid nicht so dumm wie die Ziegen“ und „keine leeren Kanister anfassen“. Auf der Rückseite des Kartons ist das ganze Teufelszeug des Krieges aufgemalt – kugelig, länglich, tellerförmig, spitz oder mit kleinen Propellern. „Nichts wie raus, solange es noch Autos gibt“, habe er sich damals gesagt, als die Schüsse immer näher kamen, berichtet Ahmeds Vater Mohammed Obeid. Seit Mitte 2011 lebt er mit seiner Familie in einem Klassenzimmer in der Hafenstadt Aden. Auf dem Schulhof meckern ein paar Ziegen in einem Bretterverschlag. Fast alle Fensterscheiben sind zerbrochen und mit Pappen gestopft.

Alle hier in der Abdu Ghanim-Jungenschule stammen aus Adens Nachbarprovinzen Abijan und Shabwa, die im Sommer 2011 während der Revolutionswirren von El Kaida erobert wurden. Mehr als ein Jahr spielten sich die Gotteskrieger als die neuen Herrscher auf, erklärten beide Regionen zu Islamischen Emiraten. 200 000 Menschen suchten damals Zuflucht in der Hafenmetropole Aden, 80 der 150 städtischen Schulen nahmen sie als Notunterkünfte in Beschlag.

Strategie der Härte

Seit Jahresanfang hat die jemenitische Armee nach monatelangen Kämpfen erstmals wieder die Oberhand – zu einem hohen Preis. Die Provinzhauptstadt Zinjibar wurde von See durch Kriegsschiffe beschossen und aus der Luft bombardiert. Rund die Hälfte der Vertriebenen haben sich inzwischen in ihre zerstörte Heimat zurückgetraut, darunter auch die Verwandten von Mohammed Obeid. Zinjibar sei eine Trümmerwüste, berichten sie. Die meisten Felder und Geschäfte sind zerstört, Wohnhäuser tückisch vermint, Sprengsätze in den Sesseln versteckt, hinter Türen, im Garten oder auf den Beeten. Jeden Tag werden Rückkehrer von Minen verletzt, darunter viele Kinder wie Ahmed. „Die sind bald alle wieder hier zurück in Aden“, sagt der pensionierte Offizier. „Ich traue dem Frieden nicht, ich bin sicher, das Ganze fängt bald wieder von vorne an.“

Seit einem Jahr verfolgt Jemen im Kampf gegen El Kaida erstmals eine Strategie der bedingungslosen Härte. Anders als Vorgänger Ali Abdullah Saleh, setzt Präsident Abdu Rabu Mansour Hadi voll auf das Militär. Offiziere wurden reihenweise ausgetauscht, Einheiten im Süden verstärkt, die US-Armee hat mit ihren Drohnen freie Hand im ganzen Land. Und so lag im letzten Jahr die Zahl der Drohnenangriffe mit 42 erstmals gleichauf mit Pakistan – mit der gleichen ambivalenten Bilanz. Einmal, wie im Dezember, tötete eine Rakete die Nummer zwei der Terroristen. Dann wieder starben 17 Menschen einer Hochzeitsgesellschaft, was viele aufgebrachte Bewohner in die Hände der Radikalen treibt.

Und so sind die Gotteskämpfer trotz hoher Verluste alles andere als besiegt. „Die Bedrohung ist eher größer geworden, weil El Kaida sich jetzt in viele Provinzen zerstreut hat“, erläutert Mohammed Saif Haidar vom Sheba Zentrum für Strategische Studien. Nach dem Verlust von Zinjibar haben die Terrorstrategen ihren Schwerpunkt von Süden nach Norden verlagert. Immer mehr Stämme wechseln die Seiten. Islamisten aller Schattierungen verbünden sich im Kampf gegen Armee und US-Drohnen. Inzwischen haben sich die radikalen Kommandos in Al Bayda und Radaa festgesetzt, sind bis auf 150 Kilometer an die jemenitische Hauptstadt herangerückt – näher als jemals zuvor.

„Jede Menge Schläferzellen“

Adens Gouverneur Waheed Ali Rasheed weiß, was das bedeutet. Von seinem Büro im 6. Stock hat er freien Blick über die Stadt und den Hafen, in dem dieser Tage lediglich zwei einsame Schiffe aus Nordkorea und Russland vor Anker liegen. „Vor einigen Monaten stand El Kaida noch kurz vor der Stadtgrenze“, sagt er. An jeder Ecke seien Bewaffnete zu sehen gewesen, die der Bevölkerung Angst und Schrecken einjagten. Vize-Gouverneur Sultan Al Shaibi trägt einen Colt 45 offen im Hosengurt. „El Kaida ist nach wie vor in der Stadt, es gibt jede Menge Schläferzellen“, sagt er. Täglich wechselt der Ex-Offizier seine Fahrtrouten zur Arbeit. „Heutzutage gibt es keine Sicherheit“, sagt er. „Wer mich ermorden will, kommt irgendwann zum Ziel.“