Rom.. Als Benedikt XVI. sein Amt antrat, verband sich mit dem neuen Kirchenoberhaupt auch die Hoffnung auf Erneuerung. Doch das Gegenteil war der Fall. Der erste deutsche Papst seit 482 Jahren hat die Gläubigen häufig irritiert. Und in sein Pontifikat fiel die Aufdeckung der Missbrauchsskandale in der Kirche.
Vor acht Jahren, am 19. April 2005, sorgten 115 Kardinäle für eine Sensation. Sie wählten Joseph Kardinal Ratzinger zum Papst. Er ist der erste deutsche Papst seit 482 Jahren. In seinem Heimatland herrschte Begeisterung. „Wir sind Papst” hieß es und viele ließen sich von der Euphorie ansteckten. Doch zwischenzeitlich war die Begeisterung gewichen – und das nicht nur, weil die Debatte um den sexuellen Missbrauch einen tiefen Schatten auf das Pontifikat von Benedikt XVI. geworfen hat. Es waren auch Irritationen, hoch umstrittene Entscheidungen, politische Fehleinschätzungen und Reform-Resistenz, die Enttäuschungen, Resignation und Wut hervorriefen.
Dabei begann das Pontifikat, das sich nun durch Benedikts Rücktritt dem Ende zuneigt, alles verheißungsvoll. Schon kurz nach seiner Wahl kam der neue Papst zum Weltjugendtag nach Köln. Zehntausende junge Menschen bejubelten den damals 78-jährigen Mann an der Spitze der Kirche. Und in Rom arteten seine Audienzen zum Klatschkonzert aus. „Be-ne-det-to”-Rufe hallten vom Petersdom bis zum Tiberufer. Und noch im Jahr seiner Papstwahl keimten Hoffnungen auf, als er den Kirchenkritiker Hans Küng empfing. Es waren Hoffnungen auf Tauwetter im Umgang mit Kritikern. Sie erfüllten sich nicht.
Konflikt mit den Muslimen
Ein erster Schatten fiel auf den Gelehrten auf dem Thron Petri, als er 2006 einen Vortrag in der Universität Regensburg zum Thema Glaube und Vernunft hielt. Ein wichtiges Thema im Dialog mit den Muslimen. Doch Benedikt hatte im Vortrag einen byzantinischen Kaiser zitiert, der dem Islam „nur Schlechtes” zuschrieb und hatte das Zitat nicht deutlich genug kenntlich gemacht. Muslime werteten es als seine Meinung. Die islamische Welt protestierte tagelang.
Der Papst war tief betroffen. Aber er reagierte mit Klugheit. Die Kontakte zwischen dem Vatikan und Muslimen wurden auf vielen Ebenen ausgebaut. Inzwischen steht Rom mit ihnen in einem so engen Dialog, wie er davor auch nicht ansatzweise für möglich gehalten wurde.
Die Regensburger Rede offenbarte nicht nur fehlendes politisches Gespür des Pontifex, erstmals wurde auch sichtbar, dass es dem Mann an der Spitze der Weltkirche an guten Beratern mangelt. Aber Regensburg ist auch ein Beispiel dafür, dass Benedikt, der einstige „Panzerkardinal”, durchaus aus Fehlern lernt.
Konflikt mit den Juden
Das Verhältnis zwischen Benedikt und den Juden hingegen war schwer belastet. Benedikt stieß sie vor den Kopf, als er 2007 die vorkonziliare tridentinische Messe wieder zuließ. Darin wird in der Karfreitagsfürbitte dafür gebetet, „dass die Juden erleuchtet” werden mögen, Jesus als Retter zu erkennen. Er verstörte sie, als er das Verfahren für die Seligsprechung von Papst Pius XII. vorantrieb. Pius wird vorgeworfen, zum Holocaust geschwiegen zu haben. Doch mit der Aufhebung der Exkommunikation von vier Bischöfen der erzkonservativen Pius-Bruderschaft beschädigte er das Verhältnis nachhaltig. Einer der vier Bischöfe, Richard Williamson, leugnet den Holocaust. Die Weltöffentlichkeit reagierte mit Fassungslosigkeit, Juden mit Entsetzen. Die Affäre um die Pius-Brüder offenbarte nicht nur unglaubliche Pannen im Vatikan. Sie steht auch für einen rückwärts gewandten Kirchenblick. Benedikt, der sich nicht zuletzt in seinem Buch „Jesus von Nazareth” als großer Theologe erwiesen hat, ist in der Moderne ein Fremder. Über seinem Kirchenkurs könnte stehen: „Vorwärts in die Vergangenheit”. Priestermangel, Lockerung des Zölibats, Entgegenkommen gegenüber protestantischen Christen, eine wirklichkeitsnahe Sexualmoral, Kondome wenigstens im Kampf gegen Aids – es hat den Anschein, als blende er dies einfach aus.
Doch all das wird in den Schatten gestellt von dem Missbrauchs-Skandal. Er hat die Kirche in eine Krise gestürzt, die sie in ihren Grundfesten erschüttert. Doch allen Angriffen zum Trotz – Benedikt fährt seit den Tagen als Glaubenspräfekt einen harten Kurs gegen pädophile Priester. Nach außen einsehbar gemacht hat er es indes erst auf Druck der Öffentlichkeit. Wege allerdings, die hinausführen aus dem historischen Vertrauensverlust, Visionen für eine Erneuerung der Kirche, die hat Benedikt bisher nicht entworfen.
Gesundheitliche Probleme deuteten sich an
Und nun sein Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen. Angedeutet hatte es sich bereits vor einigen Wochen: Da sah die Öffentlichkeit zum ersten Mal, dass Papst Benedikt XVI. einen Stock zum Gehen benutzte. Es war nur für eine kurze Strecke, vom Helikopter zum Flugzeug, das ihn nach Südamerika bringen sollte. Und in Südamerika sahen Fernsehzuschauer einen zuweilen müden Pontifex. Verwundern kann das nicht. Seither wurde über seine Gesundheit spekuliert. Gerüchte über eine Herzerkrankung kursieren.
Doch anders als bei seinem Vorgänger Johannes Paul II. wurde die Gesundheit, überhaupt das Persönliche, bei Benedikt kaum öffentlich. Der Mann in der weißen Soutane schirmt sich ab. Johannes Paul wollte, dass die Welt an seinem Leben teilhaben konnte. Seine schwere Krankheit, sein großes Leiden, selbst die letzten Tage vor seinem Tod - er gewährte Einblick.
Dokument über ein Mordkomplott
Benedikt blieb und bleibt diskret. Johannes Paul, das war der Papst zum Zugucken; Benedikt war der Papst zum Zuhören. Der erste deutsche Papst seit 500 Jahren wollte durch seine Worte, seinen Intellekt wirken, weniger durch seine Person.
Und weil er so diskret ist, rüttelten vor einigen Monaten Berichte über ein Dokument, in dem von einem Mordkomplott die Rede ist, die Medien wach. Vatikansprecher Federico Lombardi stritt die Existenz des Dokuments nicht ab, nannte die Geschichte aber „wirr und absurd“. Was bleibt, ist der Verdacht auf einen saftigen Machtkampf hinter den Kulissen – ein Vorgeschmack auf die jetzige Erklärung Benedikts.
Wie der feingliedrige, manchmal Welt-entrückt wirkende Pontifex auf solch profane Intrigen reagiert, drang noch nicht durch die Mauern des Vatikans. Auch darüber, wie Joseph Ratzinger so ist, wenn er nicht gerade offiziell sein muss, wird wenig mitgeteilt. Benedikt, der innerkirchlich eine streng konservative Linie vertritt, sei immer noch „sehr präsent“ gewesen, betonte jüngst ein Kirchenmann, der ihn häufiger im Vatikan sieht. Selbst wenn der Papst müde sei, „die Stimme sitzt, er spricht klar.“ Nun scheint seine Kraft aufgebracht. Auch das lässt Raum für Spekulationen, welche Krankheit Benedikt ereilt haben könnte.
Der disziplinierte Papst
Ein Geheimnis seiner bisherigen Vitalität ist wohl sein Lebensstil. Der Papst lebe „diszipliniert“ heißt es. Regelmäßigkeit ist wichtig. Er stehe früh auf, erzählt ein Insider. Mit engsten Mitarbeitern halte er die Morgenandacht. Nach dem Frühstück kommt die Arbeit: Besprechung mit den Sekretären, Reden-Schreiben, Audienzen. Die allerdings sind reduziert. Der Papst empfängt nur Staatspräsidenten und Regierungschefs.
Der Vormittag endet mit dem Mittagessen. Anders als Johannes Paul, der dabei gern Gäste um sich hatte und mit ihnen diskutierte, esse Benedikt in kleinstem Kreis. Der Theologen-Papst, ein eher stiller Mensch also. Auch nachmittags werde gearbeitet.
Ab 20.45 Uhr ist der Papst „privat“, verriet er in dem Buch „Licht der Welt“. Privat bedeutet: wieder Aktenstudium, aber auch Fernseh-Nachrichten und hin wieder ein Film auf DVD. Einer seiner Lieblingsfilme ist „Don Camillo und Peppone“. Inzwischen dürfte er die Streifen aus den 50ern und 60ern auswendig kennen.
Schlafen gehe der Papst etwa zwischen 22 und 23 Uhr abends. Rom-Besucher wissen, dass in seinem Arbeitszimmer, dritter Stock rechte Seite des Apostolischen Palastes, immer bis spät Licht brennt. Das wird, sagt ein Kenner, um 23 Uhr automatisch gelöscht - damit am nächsten Tag nicht ganz Rom diskutiert, warum der Papst mal früher ins Bett ging. Nun wird er seine Ruhe haben vor solchen Spekulationen. Es wird erwartet, dass sich Benedikt nach der Abdankung in ein Kloster zurückzieht – für den eher scheuen Menschen dürfte das das Paradies sein auf Erden sein.