Ankara. . Die Minen-Branche in der Türkei erleben gerade einen Boom. Das Land verfügt über viele Bodenschätze, die nun gehoben werden sollen. Mit Gastarbeitern. Türken wollen den Job unter Tage in ihrer Heimat nicht mehr ausüben. Jetzt sollen syrische Flüchtlinge in die Stollen.

Jahrzehntelang suchten türkische Arbeiter Jobs im Ausland, vor allem in Deutschland. Jetzt rufen türkische Unternehmer nach ausländischen Arbeitskräften – um die Lohnkosten zu drücken.

„Wir sollten ein Gastarbeiter-Anwerbeprogramm starten“ sagte Arslan Erdinc, der Vorsitzendes des Verbandes der ägäischen Bergbau-Exporteure (EMIB) der Zeitung „Today‘s Zaman“. Vorbild könnten die Anwerbeabkommen sein, die Deutschland seit Mitte der 1950er Jahre zunächst mit Italien und später mit weiteren Ländern, darunter der Türkei, abgeschlossen hat.

Die türkische Bergbaubranche, in der Erdinc tätig ist, erlebt einen Boom. Die Türkei ist reich an Bodenschätzen. Neben Braun- und Steinkohle verfügt das Land über viele Metalle, Erden und Steine.

Mit dem Export dieser Güter verdiente die Türkei im vergangenen Jahr fast 3,2 Milliarden Dollar. Doch es könnte mehr sein. Denn viele Minen und Steinbrüche arbeiten nur mit reduzierter Kapazität, weil es an Arbeitskräften fehlt. „Dies sind Jobs, die Türken nicht mehr gern annehmen“, sagt Verbandschef Erdinc. Der „türkische Wohlfahrtsstaat“ sei daran schuld, erklärte Erinc der WAZ-Mediengruppe: „Es gibt Arbeitslosenversicherung und ein kostenloses Gesundheitswesen, das hat die Leute faul gemacht.“

Harte Arbeit, niedriger Lohn

Was der Arbeitgeberfunktionär verschweigt: In vielen Bergbaubetrieben herrschen Arbeitsbedingungen, die an das vorvergangene Jahrhundert erinnern. Die meisten Arbeiter haben nur Zeitverträge und bekommen nicht einmal den staatlich festgesetzten Mindestlohn, der in der Türkei bei umgerechnet 324 Euro im Monat liegt.

So sparen die Arbeitgeber Lohn und Sozialversicherungsabgaben. Die Sicherheitsvorkehrungen in vielen Minen sind unzureichend. Der Einsatz ungelernter Arbeitskräfte, die keinerlei Notfalltraining haben, führt immer wieder zu Unglücken.

Erst im Januar starben in der Minenstadt Zorlu acht völlig unerfahrene Kumpel in einer staatlichen Grube. Am vergangenen Wochenende versammelten sich in der Bergbaustadt Zonguldak an der Schwarzmeerküste etwa 15.000 Arbeiter und deren Familien, um gegen das „taseron“-System zu protestieren. So nennt man in der Türkei die weit verbreitete Praxis, über Subunternehmer Arbeitnehmer zu beschäftigen. Diese Arbeitsverhältnisse bedeuten schlechtere Bezahlung und keine Sozialleistungen. Auch einen Kündigungsschutz gibt es für diese Beschäftigten nicht.

Warten auf das Geld

Nicht nur in den meisten Minen, auch auf vielen türkischen Baustellen wird nach diesem System gearbeitet. „Wir sind praktisch ohne Rechte“, sagt Cemal Bilgin, der Vorsitzende der Gewerkschaft der „taseron“-Arbeiter. „Manchmal warten wir monatelang auf unseren Lohn, die Arbeitgeber lassen uns Verträge unterschreiben, die sie anschließend zerreißen – es ist Piraterie!“

Kein Wunder, dass sich immer mehr Türken weigern, zu diesen Bedingungen zu arbeiten. „Deshalb suchen die Arbeitgeber jetzt nach Gastarbeitern, um die Lohnkosten niedrig zu halten“, sagt der Gewerkschafter Cemal Bilgin.

Ein Sprecher des türkischen Arbeitsministeriums erklärte der Zeitung „Today’s Zaman“, man „erwäge“ den Vorschlag, Gastarbeiter anzuwerben. Verbandschef Erdinc weiß auch schon, wo er billige Arbeitskräfte bekommen könnte: In den Lagern an der syrischen Grenze, wo über 110.000 Syrer Zuflucht vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat gesucht haben. „Die sitzen da doch nur rum“, sagt Erdinc.