Als Hoffnungsträger trat er im vergangenen Jahr vor das ägyptische Volk: Nach dem Sturz von Machthaber Husni Mubarak hofften Anhänger und selbst Gegner der islamistischen Muslimbruderschaft, dass mit dem aus den Reihen der Bruderschaft stammenden neuen Präsidenten Mohammed Mursi der politische Wandel im Land begonnen habe.
Kairo/Berlin (dapd). Als Hoffnungsträger trat er im vergangenen Jahr vor das ägyptische Volk: Nach dem Sturz von Machthaber Husni Mubarak hofften Anhänger und selbst Gegner der islamistischen Muslimbruderschaft, dass mit dem aus den Reihen der Bruderschaft stammenden neuen Präsidenten Mohammed Mursi der politische Wandel im Land begonnen habe. Sieben Monate später ist Ägypten nicht einmal ansatzweise zur Ruhe gekommen. Proteste und Aufruhr erschüttern das Land.
Am zweiten Jahrestag der Revolution vergangene Woche forderten mindestens 500.000 Menschen bei einer Demonstration einen Machtwechsel. Mehr als 60 Menschen starben bei den jüngsten Unruhen. Das Chaos ist soweit fortgeschritten, dass Präsident Mursi nun auf das Militär zurückgreifen will, um die Ausschreitungen unter Kontrolle zubringen. Ein äußerst gewagter Schritt: Der Vorstoß ruft Erinnerungen an die autoritäre Herrschaft Mubaraks hervor. Dieser hatte die Streitkräfte oft zu seinem Vorteil gegen das Volk einsetzt.
Dabei hatte Mursi zu Beginn seiner Amtszeit viel Hoffnung versprüht. Der 62-Jährige hatte nach seinem Wahlerfolg nach mehr als 30 Jahren die Muslimbruderschaft offiziell verlassen und in den Medien verlauten lassen, dass ein demokratisch, ziviler und moderner Staat sein Ziel sei. Er wolle Religionsfreiheit ebenso respektieren wie friedlichen Protest, sagte Mursi damals. Doch friedlich sind die Proteste schon lange nicht mehr.
Politik und Religion
Sein Protest gegen die Regierung Mubaraks hatte Mursi sogar eine Zeit im Gefängnis eingebracht. Er war der Muslimbruderschaft Ende der siebziger Jahre beigetreten. Damals steckte er mitten in seinem Studium der Ingenieurwissenschaften. Für eine Promotion in Luft- und Raumfahrttechnik wechselte er in die USA. Dem Doktortitel folgte eine Dozententätigkeit an der Universität von Kalifornien in Northridge. Mitte der achtziger Jahre kehrte er nach Ägypten zurück und arbeitete an der Fakultät für Ingenieurwesen der Sagasig-Universität als Professor.
Als Mitglied der Muslimbruderschaft wurde sein politisches Engagement stetig größer. In der Bruderschaft engagierte sich Mursi zunächst in der Abteilung für Religion. 1995 wurde er in das Führungsbüro - das höchste Entscheidungsgremium der Bewegung - berufen. Im gleichen Jahr zog er auch als offiziell unabhängiger Kandidat in das Parlament ein. 2000 verteidigte er sein Mandat und rückte zum Sprecher der Fraktion der Muslimbrüder auf.
Im Mai 2006 wurde Mursi festgenommen und verbrachte sieben Monate in Haft. Grund für die Inhaftierung war, dass er gemeinsam mit anderen Muslimbrüdern eine Gruppe von Richtern und deren Protest gegen die mutmaßliche Manipulation der Wahlen 2005 unterstützt hatte.
Verpasster Wandel?
Mit dem arabischen Frühling 2011 rückte Mursi weiter in den Mittelpunkt der Muslimbruderschaft. Im April 2011 wurde der Ingenieur Präsident der im Umfeld der Bewegung gegründeten Partei für Freiheit und Gerechtigkeit. Im Parlamentswahlkampf Ende 2011 errang Mursi mit 45 Prozent einen Erdrutschsieg für die Partei.
Im Juni vergangenen Jahres setzte er sich in der zweiten Runde der Präsidentenwahl knapp gegen den früheren Ministerpräsidenten Ahmed Schafik durch, obwohl sich die Muslimbruderschaft ursprünglich ihren stellvertretenden Chef Chairat el Schater als Kandidaten gewünscht hatten. Dieser wurde jedoch wegen einer früheren Verurteilung nicht zur Wahl zugelassen.
Mit dem Sieg hätte der Wandel beginnen können. Mursi trat offiziell aus der Muslimbruderschaft aus; wollte Präsident für alle Ägypter sein. Doch das Land scheint weiterhin gespalten, ein Ende der Proteste ist nicht in Sicht. Am Mittwoch wird Mursi in Berlin auf Bundeskanzlerin Angela Merkel treffen. Ein Gespräch über die Zukunft seines Landes scheint unausweichlich.
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