Die Bundesregierung hält sich in der Debatte über Sexismus-Vorwürfe gegen FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle bedeckt. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Freitag, die Debatte um den Artikel im Magazin “Stern“ betreffe in keiner Weise die Arbeit der Bundesregierung. Die Regierung arbeite mit dem FDP-Fraktionsvorsitzenden gut zusammen.

Berlin (dapd). Die Bundesregierung hält sich in der Debatte über Sexismus-Vorwürfe gegen FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle bedeckt. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Freitag, die Debatte um den Artikel im Magazin "Stern" betreffe in keiner Weise die Arbeit der Bundesregierung. Die Regierung arbeite mit dem FDP-Fraktionsvorsitzenden gut zusammen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ließ ihren Sprecher allerdings ausrichten, sie plädiere stets für einen professionellen und respektvollen Umgang miteinander, auch zwischen Politik und Medienvertretern. Dies halte sie auch selbst so.

In einem mehrseitigen Porträt über Brüderle beschreibt die "Stern"-Journalistin Laura Himmelreich eine Situation vor gut einem Jahr, in der der 67-Jährige auf ihre Brüste geschaut und gesagt haben soll: "Sie können ein Dirndl auch ausfüllen." Zudem soll er ihre Hand genommen, diese geküsst und im Verlauf des Gesprächs gesagt haben: "Politiker verfallen doch alle Journalistinnen." Mitte des Monats hatte bereits eine Autorin von "Spiegel Online" über Diskriminierung im politischen Alltag der Piratenpartei berichtet.

Grüne warnen vor Verharmlosung des Problems

Grünen-Chefin Claudia Roth warnte vor einer Verharmlosung sexistischen Verhaltens. "Sexismus ist herabwürdigend, verletzend, diskriminierend und in keiner Form oder Ausprägung in Ordnung", betonte sie. Die Debatte, die die beiden Magazine angestoßen hätten, sei "wichtig und längst überfällig". Sie zeige immer noch existierende Strukturen der täglichen Diskriminierung und dass viele Männer meinten, Sexismus sei eine Lappalie oder sogar ihr gutes Recht. Zugleich forderte sie die Einführung einer Frauenquote in Unternehmen, Medien und Parteien. Dies sei das beste Mittel, um verbohrten Machos Benehmen beizubringen.

Eine Sprecherin des Bundesfamilienministeriums nannte auf Nachfrage Zahlen aus einer Studie von 2004, wonach 58 Prozent der Frauen schon mindestens einmal sexuell belästigt wurden, 42 Prozent davon am Arbeitsplatz. Das Thema sei wichtig und dürfe nicht als Spartenproblem abgetan werden. Die Diskussion darüber müsse geführt werden und sei wichtig, betonte die Sprecherin. Zum konkreten Vorwurf gegen Brüderle verfüge das Ministerium aber über zu wenige Informationen, um diesen beurteilen zu können.

Für ihren Artikel hatte Himmelreich nicht nur Zuspruch erhalten. Vor allem in der FDP wurde der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts kritisiert. Auch der Vorsitzende der bayerischen FDP-Landtagsfraktion, Thomas Hacker, bezeichnete die Vorwürfe als fragwürdig. Die Anschuldigungen seien zudem bewusst nach der Nominierung Brüderles als FDP-Spitzenkandidat platziert worden, sagte er in einem Interview der Nachrichtenagentur dapd.

Die Autorin Ursula Kosser sprang der Journalistin bei. "Es ist schlichtweg unfair, ihr vorzuwerfen, sie hätte das doch direkt vor einem Jahr machen können", sagte sie im Deutschlandfunk. Dass Himmelreich sich entschlossen habe, die Geschichte jetzt zu schreiben, halte sie für "unglaublich mutig", sagte Kosser. Die ehemalige Spiegel-Journalistin hatte im Jahr 2012 das Buch "Hammelsprünge" veröffentlicht, in dem sie die Beziehung von Sex und Macht in der Bonner Republik schildert.

Aufschrei auf Twitter

Der Journalistinnenbund bezeichnete den Bericht der "Stern"-Redakteurin als einschneidend. Dieser trage enorm dazu bei, dass sich das Verhältnis zwischen traditionsreichen Parteien und Presse verändern werde, sagte die Vorsitzende der Vereinigung, Andrea Ernst der Nachrichtenagentur dapd. "Denn allzu große Nähe, Anzüglichkeiten und Übergriffe werden öffentlich. Für die Altherrenrunden der politischen Macht ist das besonders schmerzlich. Sie müssen ab nun professionelle Distanz lernen", betonte Ernst.

Ähnlich äußerte sich auch "taz"-Chefredakteurin Ines Pohl. Die Berichterstattung werde dazu führen, dass sich Politiker künftig genauer überlegen, ob sie sich abfällig an eine Frau heranmachen, sagte Pohl am Freitag im Deutschlandfunk.

Auf Twitter kochten derweil die Emotionen weiter hoch und gehen weit über die Personalie Brüderles hinaus: Unter dem Hashtag #aufschrei etwa tauschen die Nutzer des Onlinedienstes seit Donnerstagnachmittag ihre Erfahrungen mit alltäglichem Sexismus aus. Mal handeln sie etwa von aufdringlichen Professoren, mal von beleidigenden Polizisten oder schamlosen Ärzten.

(Link zur Twitterseite: https://twitter.com/search?q=%23aufschrei&src=typd )

dapd