David Cameron zieht seinen letzten Trumpf - und riskiert die totale Pleite: Wenn seine konservativen Tories in zwei Jahren die Wahl gewinnen, dann wird der britische Premierminister seine Landsleute tatsächlich über den “Brexit“ abstimmen lassen, über den Ausstieg aus der EU. Erst will er in Brüssel eine “flexible“ EU aushandeln, sich also die Rosinen aus den Verträgen herauspicken.
Brüssel (dapd). David Cameron zieht seinen letzten Trumpf - und riskiert die totale Pleite: Wenn seine konservativen Tories in zwei Jahren die Wahl gewinnen, dann wird der britische Premierminister seine Landsleute tatsächlich über den "Brexit" abstimmen lassen, über den Ausstieg aus der EU. Erst will er in Brüssel eine "flexible" EU aushandeln, sich also die Rosinen aus den Verträgen herauspicken. Und bis 2017 soll dann das "Rein-Raus-Referendum" kommen.
In den ersten Entwürfen für "the Speech", seine mehrfach verschobene Grundsatzrede zur EU, war die äußerste Option gar nicht vorgesehen. Dass Cameron jetzt doch zum letzten Mittel greift, zeigt, wie stark sich der Regierungschef von den heimischen Euroskeptikern in die Ecke treiben ließ. Er riskiert, aus innenpolitischem Kalkül die ganze EU in die nächste Krise zu stürzen.
EU-Kommissionschef José Manuel Barroso ist so sauer, dass er die Rede am Mittwoch schlicht ignorierte. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) wollte sich dagegen nicht mit Totschweigen begnügen. Zwar nehme er Cameron ab, dass der in der EU bleiben wolle. Doch ähnele der Premier "immer mehr einem Zauberlehrling, der die Kräfte nicht mehr bändigen kann, die er heraufbeschworen hat; Kräfte, die die EU aus ideologischen Gründen verlassen wollen, zum Schaden der britischen Bevölkerung."
Die eigene Haut retten
Camerons Motive sind durchsichtig: Mit dem Referendum versucht der Tory-Chef, die vielen EU-Gegner in den eigenen Reihen wieder zurückzuerobern - und der populistischen Independet Party, die mit brüsselfeindlichen Parolen enormen Zulauf hat, das Wasser abzugraben. Laut Umfragen sind rund 55 Prozent der Briten für den "Brexit". Durch Zugeständnisse an sie will Cameron seine eigene Haut retten.
Doch damit nicht genug: Den EU-Verdruss im eigenen Land setzt der Regierungschef von Westminster auch noch ein, um seine EU-Partner zu erpressen. "Seht her, ich will mein Land ja in der Gemeinschaft halten. Aber dafür müsst ihr mir eine neue EU geben, die ich zu Hause auch verkaufen kann." So könnte man seine Strategie zusammenfassen.
Kann Sie aufgehen? In Großbritannien selbst wächst inzwischen die Furcht, der bedrängte Premier könne sein Land aufs politische Abstellgleis manövrieren, um die heimischen Euro-Skeptiker in Schach zu halten. "Man sollte nie einen Raum betreten, ohne zu wissen, wie man ihn wieder verlässt", sagte der Abgeordnete Michael Heseltine, früherer Vizepremier und Tory-Reformer. Und Labour-Chef Ed Miliband warnte, Großbritannien könne sich "schlafwandelnd" zum Ausgang bewegen.
Ein Austritt würde die Briten außenpolitisch kastrieren - und die schwer angeschlagene Wirtschaft hart treffen. In Brüssel setzt man darauf, das Risiko bringe Politiker und Wähler noch zur Vernunft. "Die interne Debatte konzentriert sich nun hoffentlich auf die Substanz", sagte Barrosos Sprecherin Pia Ahrenkilde-Hansen.
"Desintegration und womöglich Zerfall"
Richtig spannend wird es, wenn Cameron die Wahl in zwei Jahren gewinnt und die Aktion "Rosinenpicken" beginnt: Können ihm die EU-Partner in Berlin, Paris oder Brüssel dann tatsächlich Zugeständnisse verweigern, und so den "Brexit" riskieren? Aber wenn sie den Briten eine maßgeschneiderte EU-Mitgliedschaft anbieten, in der nicht alle Regeln akzeptiert werden müssen, wird der Schlamassel noch größer. Vor "Desintegration und womöglich dem Zerfall der Union" warnt Parlamentspräsident Schulz.
Einfach war es nie, das Verhältnis der Insel zur EU. Schon die Aufnahme vor 40 Jahren war ein harter Brocken - für beide Seiten. Dass die spröde Vernunftehe nun ganz zu zerrütten droht, daran ist Brüssel indes nicht ganz unschuldig. Dass die Kommission die Arbeitszeit für britische Krankenschwestern regeln will, dass der Beamtenapparat seine eigenen Privilegien mit Klauen und Zähnen verteidigt, dass Kommissionschef Barroso und Gipfelchef Herman Van Rompuy mehr Geld für den EU-Haushalt wollen, obwohl die Briten unter einem Sparprogramm ächzen: Das alles steigert jenseits des Kanals nicht unbedingt die Sympathiewerte.
Auf dem gescheiterten Haushaltsgipfel im November hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) versucht, Cameron aus der Isolation zu holen. Ob sie es auf dem Februar-Treffen noch einmal versuchen wird? Die Versuchung für Van Rompuy und Barroso wird jedenfalls groß sein, Cameron jetzt erst recht mit leeren Händen zurück zu seinen Wählern zu schicken.
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