Essen. Kandidat in der Klemme: Peer Steinbrück sorgt erneut mit umstrittenen Äußerungen für Aufsehen. Als Aufsichtsratsmitglied bei ThyssenKrupp bot er seine politische Unterstützung für das Unternehmen an. Das belegen Protokolle, die der WAZ Mediengruppe vorliegen.
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat es schwer in diesen Tagen. Kurz vor den Landtagswahlen in Niedersachsen holen ihn wieder Aktivitäten aus der Vergangenheit ein. Diesmal geht es um sein Mandat beim krisengeschüttelten Konzern ThyssenKrupp. SPD-Mann Steinbrück saß dort von Januar 2010 bis Ende 2012 im Aufsichtsrat.
Wie aus Protokollen des Aufsichtsrates hervorgeht, die der WAZ Mediengruppe vorliegen, bleiben zwei wesentliche Wortbeiträge des Politikers in Erinnerung. In beiden entsteht der Eindruck, Peer Steinbrück habe die Interessen des Konzerns ThyssenKrupp, von dem er für seine Aufsichtsratstätigkeit rund 170 000 Euro bekam, über die Interessen der Allgemeinheit gestellt, die er im Bundestag als Politiker vertreten soll.
Peer Steinbrück warnte vor Äußerungen zum Schienenkartell
Einmal hat sich Peer Steinbrück etwa zum Schienenkartell geäußert. Und diese Äußerung vom 13. Mai 2011 ist pikant. Gerade erst hatten Ermittler ein Tochterunternehmen von Thyssen-Krupp durchsucht. Sie gingen dem Verdacht nach, dass ein Kartell der sogenannten „Schienenfreunde“ rund um den Konzern Thyssen-Krupp jahrelang die Deutsche Bahn und dutzende kommunale Verkehrsbetriebe ausgenommen hat. Der Schaden für die Steuerzahler in Deutschland: viele hundert Millionen Euro.
Der Aufsichtsrat diskutierte laut Protokoll über das Kartell. Aufsichtsratschef Gerhard Cromme forderte personelle Konsequenzen, nicht nur bei den Untergebenen, auch bei den Führungskräften. Ex-Henkel-Chef Ulrich Lehner setzte sich dafür ein, das interne Warnsystem bei Thyssen-Krupp zu verbessern, um schneller kriminelle Machenschaften im Konzern enttarnen zu können.
Und der Abgeordnete des Deutschen Bundestages, Peer Steinbrück, wies laut Protokoll darauf hin, „dass es schädlich wäre, wenn der aktuelle Fall in der Pressekonferenz nach der Aufsichtsratssitzung thematisiert würde.“
Ausmaß der illegalen Preisabsprachen wurde erst später klar
Warum will Steinbrück die Causa Schienenkartell öffentlich verschweigen? Warum drängte er den Konzern nicht zu einer breiten öffentlichen Aufklärung? Warum verlangte er nicht im Interesse der geprellten Steuerzahler öffentliche Konsequenzen nach den Hausdurchsuchungen bei Thyssen-Krupp?
Warum setzte er sich im Gegenteil sogar noch dafür ein, die Menschen möglichst im Unklaren zu lassen über das Schienenkartell? Erst Wochen nach der Sitzung enthüllte die WAZ Mediengruppe die Schäden und das wahre Ausmaß der illegalen Preisabsprachen.
Kanzlerkandidat Peer Steinbrück
Auf Anfrage erklärte ein Sprecher von Peer Steinbrück nun, der Kanzlerkandidat der SPD werde sich nicht zu dem Vorgang äußern. Dies sei ihm aufgrund gesetzlicher Geheimhaltungspflichten über die Inhalte von Aufsichtsratssitzungen verwehrt.
Steinbrück bot Aufsichtsrat politische Unterstützung an
Auch die zweite Äußerung von Peer Steinbrück im Aufsichtsrat von Thyssen-Krupp hat politische Brisanz. Die Konzernspitzen diskutierten in vertraulicher Runde über Energiepreise. Ein Aufsichtsratsmitglied beklagt, dass die Kosten für Stahlkocher in Deutschland „viel zu hoch“ seien. „Eine wettbewerbsfähige Stahlproduktion“ sei so kaum noch möglich. „Die Politik müsse hier eingreifen und für Abhilfe sorgen.“
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück nimmt den Ball seines Aufsichtratskollegen gerne auf. Laut internem Protokoll sagt der Bundestagsabgeordnete: „Wenn aus dem Kreise des Aufsichtsrates eine Initiative ergriffen werde, sei er gerne zur politischen Unterstützung bereit.“ Für die Zukunft müsse der Standort Deutschland als Industriestandort gesichert werden, um in diesem Zusammenhang spiele das Thema Energiekosten eine wesentliche Rolle. Hat hier ein Politiker einem Konzern seine Politik als Dienstleistung angeboten? Ein Sprecher von Peer Steinbrück will zu dem Vorgang nichts sagen.
Aufsichtsratschef Gerhard Cromme nahm den Vorschlag von Peer Steinbrück jedenfalls zum Anlass über eine politischen Flankierung der Konzernbemühungen gegen hohe Stromkosten im Aufsichtsratsausschuss für strategische Fragen zu diskutieren. Dem Ausschuss gehörte auch Peer Steinbrück an.
Welche Interessen vertrat Peer Steinbrück?
Welche Interessen hat Steinbrück im Fall Energiekosten vertreten? Die des Konzerns oder die der Öffentlichkeit? Je mehr Ausnahmeregelungen es für Großkonzerne von den Kosten der Energiewende gibt, umso mehr Geld müssen die Menschen im Land für ihre Stromrechnung zahlen.
Auf Nachfrage sagte ein Sprecher von Peer Steinbrück, der Kanzlerkandidat der SPD werde sich nicht zu dem Vorgang äußern.
Thyssen-Krupp wollte sich ebenfalls nicht zu den Beiträgen von Peer Steinbrück im eigenen Aufsichtsrat äußern. Die Sitzungen des Gremiums seien vertraulich. „Vor diesem Hintergrund haben wir kein Verständnis dafür, dass aus Protokollen des Aufsichtsrats öffentlich zitiert und über einzelne Mitglieder des Aufsichtsrats berichtet wird.“
Steinbrück nahm überaus nicht eifrig an den Aufsichtsratssitzungen teil. In den Berichtsperioden 2010/11 und 2011/12 fehlte er bei vier von zehn Sitzungen. Außerdem hat er zwei von vier Sitzungen des Strategieausschusses ausfallen lassen. Regelmäßig ließ er sich wegen seiner Tätigkeiten als Bundestagsabgeordneter entschuldigen.