Düsseldorf. In Nordrhein-Westfalen werden zurzeit 40 meist junge Leute mit brauner Vergangenheit über Jahre von einem Experten-Team betreut. Junge Frauen unter den Rechtsextremisten und Salafisten sind neue Zielgruppen. Innenministerium will die Arbeit erweitern – mit langem Atem.

Es ist eine oft mühevolle Arbeit hinter den Kulissen – doch sie wirkt und hilft, die rechtsextremistische Szene zu schwächen. Noch nie haben so viele Neonazis in NRW das Aussteigerprogramm des Verfassungsschutzes genutzt. Derzeit werden 40 meist junge Leute betreut, die mit ihrer braunen Vergangenheit brechen wollen. Ihre Zahl hat sich binnen eines Jahres verdoppelt.

Innenminister Ralf Jäger (SPD) wertet den steigenden Zulauf als Zeichen, „dass es uns gelingt, die braune Szene empfindlich zu treffen“.

Dabei verweist er gegenüber der WAZ auf die Verbote von Neonazi-Kameradschaften in Dortmund, Hamm, Aachen und Köln vor einigen Monaten und auf „wachsenden Kontrolldruck“ der Polizei. Seit dem Start des Programms vor zwölf Jahren sei über 130 Ex-Neonazis in NRW der vollständige Ausstieg gelungen.

5000 Menschen bundesweit in „Freien Kameradschaften“

Rund 640 Neonazis gehören nach jüngsten Angaben des Verfassungsschutzes in NRW der Szene an, bundesweit organisieren sich etwa 5000 Personen in sogenannten Freien Kameradschaften, die in der Regel dem „Führerprinzip“ gehorchen. Da Mädchen unter ihnen an Bedeutung gewinnen, wurde das Aussteiger-Programm in NRW um eine Betreuerin aufgestockt, die speziell auf junge Frauen zugehen soll.

Die insgesamt vier Mitarbeiter des Verfassungsschutzes begleiten Ausstiegswillige bis zu fünf Jahre lang. „Für den dauerhaften Erfolg brauchen wir einen langem Atem“, sagt Jäger. Wer sich aus der Szene lösen will, kann telefonisch unter 0180-3100110 in Kontakt mit den Betreuern treten. Zum Konzept gehören Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche oder Familienzusammenführung, psychologische Hilfe und auch Haftbetreuung.

Über die Hälfte der Aussteiger war schon wegen rechtsextremistisch motivierter Straftaten in Haft. Laut Jäger gehören sogar frühere Neonazi-Funktionäre zu den betreuten Personen. Sie werden gezielt angesprochen, um sie zum Umdenken zu bewegen. Über 80 Prozent seien nach absolviertem Programm nicht wieder straffällig geworden.

Neue Zielgruppe im Blick: jugendliche Salafisten

Da das rechtsextremistische Umfeld großen Einfluss auf Ausstiegs-Kandidaten ausübe und nicht vor Gewalt gegen sie zurückschrecke, müssten die Betreuer mit „hoher Professionalität“ vorgehen. Wenn die Gefahr zu groß sei, werde ein „stiller Ausstieg“ vorbereitet. Dabei leisten die Mitarbeiter auch Unterstützung bei der Wohnungssuche in einer anderen Stadt. Als Starthilfe sind zinslose Darlehen aus dem Aussteigerprogramm möglich.

Außerdem bereitet NRW seit einiger Zeit ein zweites Aussteiger-Programm für radikal-islamistische Salafisten vor. Gefährdete Personen sollen möglichst erreicht werden, ehe sie in die „extremistische Szene eingebunden sind“. Um möglichst behutsam vorzugehen, sucht der Verfassungsschutz dabei die Zusammenarbeit mit den muslimischen Verbänden.