Essen. . Die Erfolgsgeschichte der Grünen und ihre Flirtversuche mit der Union beunruhigt Sozialdemokraten im Revier. Nicht nur Dortmunds SPD-Parteichef Franz-Josef Drabig fordert die Rückkehr zu „SPD pur“.

Rot und Grün. Auf den ersten Blick passt das perfekt. Rot-Grün regiert mit sicherer Mehrheit in NRW, Rot-Grün will im Bund Schwarz-Gelb ablösen, Rote und Grüne ­haben das schwarze Baden-Württemberg erobert. Und dennoch lohnt sich ein zweiter Blick. Denn erobert haben vor allem die Grünen. Die SPD schafft es in Umfragen bundesweit kaum über 30 Prozent.

Die Grünen werden stärker, stellen in Stuttgart ab Montag den Oberbürgermeister und wildern tief im bürgerlichen Lager. Längst flirten die Grünen mit den Schwarzen, nicht einmal dem grünen Altrevolutionär Daniel Cohn-Bendit graut mehr ­davor („Wir sollten auf Schwarz-Grün vorbereitet sein“). Und SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück stellte vorsorglich klar, dass SPD und Grüne sich im Falle eines Wahlsieges im Bund keinesfalls auf ­Augenhöhe begegneten. Dahinter steckt die Furcht, der Koch könnte zum Kellner schrumpfen – verletzter Stolz einer Volkspartei.

Drabig kritisiert Mentalität der SPD

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Sozialdemokraten beobachten die grüne Erfolgsgeschichte mit einer Mischung aus Bewunderung und Unbehagen. Sie fragen: Was haben wir falsch und die richtig gemacht? Den Dortmunder SPD-Chef Franz-Josef Drabig erfüllt die Entwicklung seiner Partei in den letzten Jahren mit Sorge. Es habe sich dort eine Mentalität breitgemacht, die nicht zur SPD passe. „Barrierefreies Mandat“ nennt Drabig diese Mentalität. „Typen, die in Parlamenten sitzen, aber nirgendwo mehr anecken. Leute, die beim Edel-Italiener speisen und stolz auf ihr Netzwerk sind.“ Beim Wort „Netzwerker“ schüttelt sich der kernige Sozialdemokrat, als ­habe er eine bittere Pille geschluckt.

Zurück zu den Wurzeln

Auch Drabig findet: „Inhaltlich sind die Grünen der natürliche Partner der SPD.“ Doch den Sozialdemokraten nütze es wenig, sich grün ­anzustreichen. „Wir brauchen keine grünere SPD, sondern eher SPD pur. Wir müssen die alten Tugenden leben: Mit Solidarität und ­Gerechtigkeit werben, Menschen den ­Aufstieg ermöglichen, ihnen ­Zugang zu Bildung, Mitbestimmung und Teilhabe geben. Das ­erwarten die Leute von uns.“

Der Wunsch nach „SPD pur“ reift auch an der Basis der Partei im Ruhrgebiet. Rudolf Malzahn ist Vorsitzender des in Deutschland wohl berühmtesten SPD-Ortsvereins ­Bochum-Hamme. Malzahn und die Genossen aus Hamme hatten einst ein Parteiausschlussverfahren gegen den früheren NRW-Ministerpräsidenten Wolfgang Clement in Gang gebracht. Hier, tief im Revier, hängen die Sozialdemokraten noch sehr an ihren Traditionen. Und ­Rudolf Malzahn hängt nicht leidenschaftlich an den Grünen. Sie sind ihm ein bisschen suspekt. „Ich ­beobachte, dass unter den Bochumer Grünen nicht viele klassische Arbeitnehmer sind. Ich sehe da ­Ärzte, Juristen, Ingenieure und Architekten.“ Sind die Grünen also eine Partei für die da oben und die SPD eine für den kleinen Mann, die kleine Frau? Passen Müsli und ­Currywurst überhaupt zusammen?

Fortschritt ist nicht nur ökologisch

Andrea Nahles, die SPD-General­sekretärin, hat ihrer Partei jedenfalls empfohlen, klare Kante gegenüber den Grünen zu zeigen. Das war 2010, lange vor dem Bundestagswahlkampf, der die beiden Partner-Parteien nun zwangsläufig zusammenschweißt. „Politisch sind sie uns immer noch am nächsten, aber wir dürfen kein rot-grünes Wischiwaschi machen. Wir müssen die Unterschiede aufzeigen, zum Beispiel, dass die Grünen nur Politik für bestimmte Milieus machen“, sagte die Parteilinke Nahles im „Hamburger Abendblatt“.

Eine Position, die auch Sigmar Gabriel, der Parteichef, einnimmt: „Der Unterschied zwischen SPD und Grünen ist, dass wir Fortschritt nicht auf ökologischen Fortschritt reduzieren.“

„Fleisch von unserem Fleisch“

Im SPD-Ortsverein Bochum-Hamme ist man sich noch nicht ganz ­einig über die Haltung gegenüber den Grünen. „Die haben von ­Beginn an Themen besetzt, die wir Sozialdemokraten vernachlässigt haben“, analysiert Klaus Amoneit, der zweite Vorsitzende. Vorstandskollege Gerhard Gleim spricht von zwei „Aderlässen“, die die SPD ­erdulden musste. „Der erste waren die Grünen, der zweite die Linkspartei. In beiden Fällen war es Fleisch von unserem Fleisch.“