Essen. Bei der Bahn gibt es erhebliche Sicherheitslücken auf eingleisigen Strecken. Das Eisenbahnbundesamt warnt vor dem Bremsen mithilfe von Sand. Diese Bremsmethode irritiert die Elektronik an den Strecken. Es gab schon Unfälle, auch im Ruhrgebiet.

Bei der Bahn gibt es Sicherheitslücken auf eingleisigen Strecken. Seit 2008 ist es in mindestens sechs Fällen – unter anderem in Duisburg und Recklinghausen – zu Kollisionen oder Bei­naheunfällen gekommen, weil das beim Bremsen von Loks eingesetzte Sandstreuen die Sicherheitselektronik stört. Dadurch werden Strecken für die Fahrt freigegeben, die tatsächlich von anderen Zügen besetzt sind.

Das geht aus einem Bericht des Eisenbahnbundesamtes hervor, der der WAZ vorliegt. Der Fehler tritt besonders bei niedrigen Geschwindigkeiten auf, weil der gestreute Sand dann die elektronischen „Fühler“ im Gleis isoliert. Das Amt hat die Bahnunternehmen angewiesen, das Sandstreuen einzustellen, eher zu bremsen und notfalls den Fahrdienstleiter zu benachrichtigen. Andernfalls drohten schwere Unfälle mit einer „Vielzahl von Toten“.

In den ersten Morgenstunden des 25. November 2008 zerreißen erst ein dumpfer Schlag und dann metallisches Scheppern die nächtliche Ruhe im nördlichen Revier. Zwischen Recklinghausen-Ost und Suderwich ist ein Kohlezug der RAG mit Tempo 80 in eine stehende Rangierlok gerast. Beide Lokführer werden nach eineinhalb Stunden schwierigster Rettungsarbeiten geborgen. Sie werden noch in der Nacht notoperiert. Beide überleben.

In der ersten Erklärung heißt es wie so oft, menschliches Versagen sei wohl Ursache des Zugunglücks. Falsch. Schon einen Monat zuvor hatte es in Duisburg-Beeck einen ähnlichen Vorfall gegeben, und heute ist sicher: Da ist ein Systemfehler in der Gleissicherung. Denn nach dem Crash von Recklinghausen kam es in Hannover, Potsdam, Frankfurt und im süddeutschen Neckarelz zu mindestens vier weiteren Unfällen und Beinahe-Unfällen mit derselben Ursache. Nach dem jüngsten vor zwei Wochen hat das Eisenbahnbundesamt per Eilverordnung vom 20. Dezember 2012 die Bahnunternehmen angewiesen, bei geringen Geschwindigkeiten auf den Einsatz ihrer Streubüchsen zu verzichten und stattdessen früher zu bremsen.

Lokführer verstärken mit dem Streuen von Sand die Bremswirkung. Doch wie aus dem Bericht des Amtes hervorgeht, kann der Sand bei feuchter Witterung auch die elektronischen „Fühler“ in den Gleisen, den sogenannten Gleisstromkreis, isolieren. Folge: Gleise werden für einfahrende Loks als frei gemeldet, obwohl sie tatsächlich durch einen anderen Zug blockiert sind.

Werden die neuen Regeln nicht eingehalten, drohe „enormes Schadenspotenzial“, schreibt das Amt – und Unfälle „mit einer Vielzahl an Toten und Verletzten“. Betriebliche Interessen müssten „gegenüber der Gefährdung von Leben und Gesundheit einer unbekannten Vielzahl von Menschen zurücktreten“.

Frank Schmidt, Chef der Gewerkschaft der Lokführer (GdL) in NRW, sagte der WAZ, es sei gut, dass das Bundesamt die Konsequenzen zieht. Zwar gehöre so eine Gefahrenlage eher nicht zum Alltag der Lokführer. Aber die Anweisung zeige: „Wenn künftig doch mit Sand gebremst wird, muss der Fahrdienstleiter kon­trollieren, ob das Gleis frei ist. Der Mensch wird wieder in die Sicherheit eingeschaltet.“