Düsseldorf. . Nordrhein-Westfalens Regierungschefin Hannelore Kraft sieht bedrohliche Tendenzen im täglichen Miteinander – in der Politik, aber auch in der gesamten Gesellschaft: „Respekt und Anstand sind verloren gegangen“. Bundespräsident Joachim Gauck ruft die Bürger in seiner ersten Weihnachtsansprache zu Mut und Zivilcourage auf.

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) warnt zu Weihnachten vor einem schleichenden Werteverfall im täglichen Umgang. „Man kann überall beobachten, dass Respekt und Anstand verloren gegangen sind“, sagte sie im Interview mit der WAZ, „unser Wertesystem wird allmählich ausgehöhlt, wenn wir nicht aufpassen.“

Beispielhaft nannte sie immer mehr Angriffe auf Polizisten oder Rettungskräfte im Dienst. „Das gab es früher in diesem Maße, in dieser Brutalität nicht“, so Kraft.

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Sie kritisierte auch Auswüchse im Internet. Dort nehme „die Verrohung teilweise schlimme Formen“ an. Vor allem Kindern und Jugendlichen müsse die „Wertebasis“ immer aufs Neue vermittelt werden. An den Schulen in Nordrhein-Westfalen soll es deshalb regelmäßig eine „Woche des Respekts“ geben. Auch in der Politik werde respektvoller Umgang nicht immer vorgelebt, monierte Kraft.

643 000 junge Menschen im Land leben in Armut

Soziales Auseinanderdriften bedroht nach Ansicht der nordrhein-westfälischen Regierungschefin den Zusammenhalt der Gesellschaft. Wenn Reiche immer reicher würden und Arme immer ärmer, gehe das Land in eine schwierige Zukunft. Deshalb müsse alles versucht werden, um „diese Schere wieder zu schließen“. Sie halte es für richtig, „dass die starken Schultern in diesem Land mehr tragen“, um möglichst allen eine Chance zu geben.

Nach dem aktuellen Sozialbericht des Landes sind in Nordrhein-Westfalen 2,8 Millionen Menschen (15,3 Prozent) einkommensarm, darunter 643 000 Minderjährige. Das sind 200 000 von Armut bedrohte Kinder mehr als vor zwei Jahren. Als armutsgefährdet gilt, wer als Monatseinkommen weniger als 833 Euro zur Verfügung hat.

Der Präsident setzt auf engagierte Bürger

Bundespräsident Joachim Gauck hat in seiner ersten Weihnachtsansprache die Bürger zu Mut und Zivilcourage aufgerufen. „Deutschland hat die Krise bisher gut gemeistert“, sagte das Staatsoberhaupt. Verglichen mit anderen Europäern gehe es den meisten Menschen hierzulande „wirtschaftlich gut, ja sogar sehr gut“.

Gleichwohl seien viele verunsichert „angesichts eines Lebens, das schneller, unübersichtlicher, instabiler geworden ist“. Die Schere zwischen Arm und Reich gehe auseinander, der Klimawandel erfordere ebenso neue Antworten wie eine alternde Gesellschaft, sagte Gauck und betonte: „Angesichts all dessen brauchen wir nicht nur tatkräftige Politiker, sondern auch engagierte Bürger.“