Kairo/Essen. In Ägypten beginnt um Samstag das Referendum über die neue Verfassung. Im Vorfeld gibt es Ausschreitungen zwischen islamistischen Demonstranten und Anhängern der Opposition. Das beunruhigt auch Exil-Ägypter im Rurgebiet.

Die Verfassung entzweit Ägypten, auch am Freitag flogen wieder Steine. Doch nun sollen die 51 Millionen Bürger an den Urnen entscheiden. Die Befürworter werben mit dem Slogan „Ja zur Verfassung ist ein ja zum Islam“. Die Opposition schaltet große Anzeigenseiten. Säkulare und Liberale wehren sich gegen den hohen Stellenwert der Scharia und kritisieren, Meinungsfreiheit, Freiheitsrechte von religiösen Minderheiten sowie Schutzrechte für Frauen und Kindern seien vage formuliert.

Im Kern der Auseinandersetzung steht Artikel 2, der die Prinzipien der Scharia als die Quelle des Rechts fixiert. Anders als in der Vorgängerverfassung, wird die Rolle der Scharia diesmal in weiteren Artikel präzisiert und ausgebaut – und bietet daher aus Sicht der Kritiker dem Gesetzgeber eine Handhabe, den Menschen künftig einen islamisch-konservativen Lebensstil aufzuzwingen oder auch Körperstrafen zu erlauben.

Die Entwicklung in seiner Heimat bereitet auch Bahgat El Maghrabi ein mulmiges Gefühl. „Ich hoffe, dass es nach der Abstimmung keinen Ärger gibt“, sagt der 43-Jährige, der seit 18 Jahren im Ruhrgebiet lebt. Wenn er sich nicht um seine beiden Restaurants in Essen und Mülheim an der Ruhr kümmern muss, kommuniziert er mit der Familie: Zwei seiner Brüder leben noch in Ägypten. In der Nähe von Alexandria, dort wo es am Freitag wieder zu Zusammenstößen zwischen islamistischen Demonstranten und Anhängern der Opposition kam. Dabei hatten die El Maghrabis große Hoffnungen, dass alles besser wird. Nach den Protesten auf dem Tahrir-Platz, nach dem Rücktritt von Staatspräsident Husni Mubarak im Februar 2011 waren sie optimistisch. Doch es folgte die Ernüchterung. „Unter Mohammed Mursi ist es nicht besser geworden. Eher schlechter“, kritisiert El Maghrabi das neue Staatsoberhaupt. Er spricht von „Räuberregierungen, die nur an sich denken“. Wenn in Ägypten Gesetze verabschiedet werden, hätten diese höchstens Gültigkeit für 24 Stunden.

Abstimmung in den großen Städten

Deswegen hat sich El Maghrabei auch nicht am Referendum beteiligt. „Meine Stimme bringt doch nichts“, sagt er. Das Ergebnis der Abstimmung will er trotzdem im arabischen Fernsehen verfolgen: Heute dürfen die Bürger in Kairo und den großen Städte an die Urne gehen, die Exil-Ägypter konnten ihre Stimme bereits im Vorfeld abgeben. In der kommende Woche soll das Referendum im Rest des Landes fortgesetzt werden. El Maghrabi befürchtet, dass die Gewalt am Nil wieder eskaliert, sobald das Ergebnis feststeht.

Regelmäßig fliegt der 43-Jährige nach Ägypten, um Freunde und Verwandten zu besuchen. Für Januar hatte er die nächste Reise geplant. Doch die Flüge hat El Maghrabi noch nicht gebucht. „Ich will abwarten, wie sich die Lage dort entwickelt“, betont er. El Maghrabi blickt aus dem Fenster, trotz der Anspannung wirkt er ruhig. Er wünscht sich auch endlich Ruhe für seine Nation.