Essen. . Eine Vorlesung, drei Seminare – 11 900 Euro. Die Praxis vieler deutscher Unis, prominente Gast- oder Honorarprofessoren wie Peer Steinbrück zu verpflichten, stößt in der Wissenschaft auf Widerstand. Manche „echte“ Professoren und Forscher sprechen von einer Unsitte. Was normale Mitarbeiter einer Hochschule allenfalls nach vielen Jahren und unsicheren Beschäftigungen erreichen, den höchsten akademischen Titel, bekommen manche Promis ganz leicht.

Die Praxis vieler deutscher Unis, prominente Gast- oder Honorarprofessoren wie Peer Steinbrück, Margot Käßmann, Karl Kardinal Lehmann oder Horst Köhler zu verpflichten, stößt in der Wissenschaft auf Widerstand.

„Auf der einen Seite werden für viel Geld Prominente verpflichtet, auf der anderen Seite hangeln sich junge, ambitionierte Forscher von Zeitvertrag zu Zeitvertrag, werden geheuert und gefeuert“, sagte Andreas Keller vom Bundesvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zur WAZ. Der Deutsche Hochschulverband (DHV) sieht die Entwicklung ebenfalls kritisch: „Honorarprofessuren für Prominente ohne eine vorangehende jahrelange Ar­beit als Lehrbeauftragter haben in der Wissenschafts-Community ein Geschmäckle. Denn in diesen Fällen wird häufig aus politischen Gründen ein Titel verliehen. Der Titel Professor sollte aber stets das Ergebnis wissenschaftlicher Leistungen sein“, so DHV-Geschäftsführer Michael Hartmer.

Peer Steinbrück hatte 2011 als „Gastprofessor der Stiftung Mercator“ in Duisburg für vier zweistündige Veranstaltungen 11 900 Euro bekommen. An der Uni Leipzig ist Steinbrück seit ei­nem Jahr Honorarprofessor und arbeitet dort unentgeltlich.

Stürmisch wie die Kavallerie - Steinbrück war der Held im Hörsaal

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Peer Steinbrück war der Held im Hörsaal. Am 21. Juni 2011 hält der Gastprofessor der NRW School of Governance in Duisburg seine Antrittsvorlesung. Steinbrück redet so, wie es seine Art ist: schnörkellos, frech, stürmisch wie die Kavallerie. Er entzückt mit Sätzen wie „Ich werde Ihnen nie versprechen, die Steuern zu senken – bei unserem Staatshaushalt. Ich denk’ ja gar nicht dran.“ Auf harten Bänken, auf Treppenstufen und auf dem PVC-Boden hocken Studenten, Bürger, Uni-Mitarbeiter. „Der hat was drauf“, sagt ein Senior. „Der kann Kanzler“, meint ein anderer.

Was damals kein Thema ist: Der Ex-Finanzminister lässt sich den Lehrauftrag – eine Vorlesung und drei zweistündige Seminare vor Studenten – mit 11 900 Euro gut bezahlen. Vor ihm hatten schon andere Promis diesen „Professoren“-Job. Wolfgang Clement, Antje Vollmer und Stefan Aust waren „Gastprofessoren für Politikmanagement der Stiftung Mercator“. In diesem Wintersemester lehrt Bernhard Vogel. Insider wissen: Nicht alle haben das Geld angenommen. Peer Steinbrück ist übrigens auch Honorarprofessor für Wirtschaft an der Uni Leipzig. Ohne Bezahlung.

Dass Unis bekannte Persönlichkeiten zu Professoren auf Zeit machen, ist nicht ungewöhnlich. Manche „echte“ Professoren und Forscher sprechen von einer Unsitte. Denn was normale Mitarbeiter einer Hochschule allenfalls nach vielen Jahren und unsicheren Beschäftigungen erreichen, den höchsten akademischen Titel, bekommen manche Promis ganz leicht. Sie sind „Gastprofessoren“ auf Zeit oder auch „Honorarprofessoren“, letzterer ist immerhin ein offizieller Titel.

Kardinal Lehmann arbeitet auch nicht allein für die Ehre

Bei manchen Gastprofessoren ist die akademische Bildung nicht anzuzweifeln. Karl Kardinal Lehmann hielt am Dienstag die erste von drei Vorlesungen seiner Heine-Gastprofessur an der Uni Düsseldorf. Der Hörsaal war voll, der Theologe sprach von Toleranz, und alle waren von ihm angetan. Aber: Allein für die Ehre arbeitet der Kirchenmann nicht. Sein Honorar liegt Insidern zufolge auf der Höhe von dem von Peer Steinbrück in Duisburg. Der SPD-Politiker wurde von der Stiftung Mercator bezahlt, der Kardinal sogar vom Land NRW, wie die Uni Düsseldorf mitteilt.

Margot Käßmann war 2011 die erste „Max-Imdahl-Gastprofessorin“ an der Ruhr-Uni Bochum. „Sie hat bei uns den normalen Job einer Professorin gemacht“, erklärt der Uni-Sprecher Josef König. Ein nicht ganz billiges Gastspiel der Theologin. Die Uni ersetzte der Landeskirche das Pastoren-Gehalt von Frau Käßmann: rund 100 000 Euro. Inzwischen ist sie Honorarprofessorin in Bochum und arbeitet hier unentgeltlich. Ganz auf Lohn und Aufwandsentschädigung verzichten seit vielen Jahren Altbundespräsident Horst Köhler und Ex-Minister Klaus Töpfer als Honorarprofessoren an der Uni Tübingen.

Sie alle sind Werbeträger. Ihre Auftritte locken ein großes Publikum. „Man muss einräumen, dass Honorarprofessoren eine Bereicherung der Lehre sein können, und ohne Professorentitel sind manche ,Hochkaräter’ nicht in den Hörsaal zu locken“, sagt Michael Hartmer vom Deutschen Hochschulverband. Aber er erinnert daran, dass solche Verträge unter Wissenschaftlern ein „Geschmäckle“ haben. „Es geht nicht nur um Werbung“, beteuert Karl-Rudolf Korte von der NRW School of Governance, „sondern um Forschung und Lehre. Steinbrück kennt die Landes- und die Bundespolitik. Nicht viele bringen so viel Sachverstand mit.“

Ein Instrument, um Regeln zu umgehen

Andreas Keller (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) erkennt ein Problem in den Engagements: „Gastprofessuren sind für Unis ein Instrument, um die strengen Regeln zu umgehen, die eine Titelvergabe mit sich bringt. Nicht nur Promis werden so verpflichtet, sondern auch schlecht bezahlte Dozenten aus dem Ausland. Auf diese Weise kann man Tarifverträge umgehen.“

Gabriele Abels, Chefin der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, kritisiert die Gastprofessuren für Promis nicht. „Ich finde es aber leider typisch, dass die Hochschulen fast ausschließlich prominente Männer verpflichten.“