Essen.. Keine Kompromisse: Ultras in Deutschland üben an den neuesten Vorschlägen der Deutschen Fußball-Liga (DFL) zur Stadionsicherheit fundamentale Kritik. Ultra-Sprecher Philipp Markhardt kündigt einen „Stimmungsboykott“ an. Auch „normale“ Fans sind sauer auf die DFL. Sie fühlen sich unter Druck gesetzt.
Philipp Markhardt würde das DFL-Papier „Sicheres Stadionerlebnis“ wohl am liebsten in der Luft zerreißen. Der Hamburger Markhardt ist Sprecher des bundesweiten Bündnisses „ProFans“, dem viele Ultras angehören. Und die Ultras sind gerade auf dem Baum, weil die DFL ihnen und den anderen Stadionbesuchern angeblich „unannehmbare“ Regeln für die Sicherheit bei Fußballspielen vorschlagen möchte.
Besonders unbeliebt ist die so genannte „Vollkontrolle“ an Stadion-Eingängen, die nach Einschätzung vieler Fans auch in der aktuellen Fassung des DFL-Papiers noch nicht eindeutig vom Tisch ist. Bei der Vollkontrolle würden Stadionbesucher aufgefordert, sich in einem Zelt oder einem Container gründlichst kontrollieren zu lassen. Manche fürchten, sich in Gegenwart der Polizei komplett entkleiden zu müssen.
Bürgerrechte, die für Ultras nicht gelten
Philipp Markhardt sieht nicht nur darin eine „entwürdigende Maßnahme“. Auch sonst sei das Verhalten der Polizei Ultras gegenüber katastrophal. „Bewegungsfreiheit? Unschuldsvermutung? Das sind Bürgerrechte, die für Ultras nicht gelten. Und das bedeutet Frust und Aggression, die sich aufstauen und irgendwann Bahn brechen. Behandelt die Leute wie Tiere, und sie werden sich irgendwann auch so benehmen“, sagte Markhardt gegenüber „Spiegel online“.
Das ganze DFL-Papier ist seiner Meinung nach viel zu vage formuliert. Alles sei immer noch möglich: Von der Verlängerung der Stadionverbote bis zu Reduzierung der Kartenkontingente bei Auswärtsspielen. Das Wort von der „Kollektivstrafe“ macht die Runde. Das neue DFL-Papier enthalte zwar nicht mehr das Wort „Vollkontrollen“, dennoch meinen kritische Fans Formulierungen zu erkennen, die darauf hinauslaufen.
Polizei sieht massives Gewaltproblem im Umfeld der Stadien
Die Zeit drängt, denn schon am 12. Dezember, auf der Liga-Vollversammlung, soll das neue Sicherheitskonzept verbindlich beschlossen werden. Der Proteststurm gegen die Pläne ist heftig. Nicht nur Fans, sondern auch viele Profi-Vereine sehen erheblichen Nachbesserungsbedarf. Dabei haben die Clubs und ihre Fan-Vertreter kaum noch Zeit, Änderungsvorschläge einzureichen. Seit einer Woche liegt den Bundesligisten das aktuelle Konzent der DFL-Kommission „Stadionerlebnis“ vor. Fans und Vereine können sich noch bis zum 22. November dazu äußern. Die Fan-Vertreter in der AG „Fanbelange und Fanarbeit“ des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) wurden über die Änderungen informiert.
Das DFL-Papier ist ein Ergebnis des Sicherheitsgipfels zwischen Vereinen und Länder-Innenministern im Sommer. Die Politik, allen voran NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD), drängt die Vereine, zügig das Gewaltproblem anzugehen. Auch die Polizei sieht ein massives Gewaltproblem im Umfeld der Stadien.
Ultras drohen mit Schweigen an drei Spieltagen
Der 12. Dezember ist aus Ultra-Sicht ein fatales Datum. Philipp Markhardt kündigt daher einen „Stimmungsboykott“ an: „Ab dem 14. Spieltag gibt es mindestens drei Spiele lang einen Stimmungsboykott von 12 Minuten und 12 Sekunden, weil am 12. Dezember die Entscheidung ist. Drei Spieltage Minimum. Und am 8. Dezember wird es einen bundesweiten Aktionstag geben.“
Stille in den Blöcken und eingerollte Fahnen? Nicht alle wollen da mitmachen. Ben Prasse vom bundesweiten Fan-Bündnis „Unsere Kurve“ hält nichts vom „Stimmungsboykott“. „Wir setzen auf Dialog und machen mit in der Arbeitsgemeinschaft Fanbelange“, sagte Prasse dieser Zeitung. Aus seiner Sicht ist es zunächst ein gutes Zeichen, dass nochmal an der ersten, strengeren Version des DFL-Papiers gefeilt wird. Aber das enge Zeitkorsett, in das die DFL die Vereine drückt, erzürnt auch Prasse und seine Mitstreiter. „Der Faktor Zeit ist das Problem.
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Alles soll jetzt innerhalb weniger Tage geschehen, alles wird übers Knie gebrochen. Die DFL will das jetzt durchdrücken, aber eigentlich bräuchten alle, die involviert sind, einen bis zwei Monate mehr zum Diskutieren. Die Fan-Vertreter machen das doch in der Regel ehrenamtlich. Sie können sich nicht ständig um diese Fragen kümmern“, sagte Prasse. Beim Thema „Vollkontrolle“ gehen übrigens auch bei „Unsere Kurve“ die Schranken runter. Prasse: „Das geht gar nicht, da sehe ich die Bürgerrechte in Gefahr.“
Beide Organisationen, „ProFans“ und „Unsere Kurve“, halten die neue Version des DFL-Papiers für „keineswegs tragfähig“.
„Manchmal ist Druck auch ganz hilfreich“
Optimistischer ist der Eintracht-Frankfurt-Fanbeauftragte Marc Francis. Das Datum 12. Dezember schreckt ihn nicht. „Manchmal ist Druck vielleicht auch ganz hilfreich. Aus Frankfurter Sicht glaube ich: Wir kriegen das hin“, sagte Francis. Und zum Thema „Stimmungsboykott“ meint er: „Der Boykott ist das gute Recht von Ultras und Fans. Der Wunsch ist durchaus verständlich, die Frage ist, ob er auch vernünftig ist. Ich glaube, dass ein Boykott keinen Einfluss auf die Entscheidung zum DFL-Papier haben wird.“ Im Übrigen sei es noch viel zu früh, über das Papier zu urteilen. Die Details seien ja noch gar nicht bekannt.
Christina Gassner, Vorstandsmitglied der Fanabteilung von Borussia Dortmund, ist nicht zufrieden: "Wir Fans sind natürlich sehr an Gesprächen über das DFL-Papier 'Sicheres Stadionerlebnis' interessiert. Gestern gab es dazu auch ein ausführliches Gespräch in der BVB-Geschäftsstelle mit Vertretern des Vereins. Wir begrüßen es, dass inzwischen einige kritische Punkte aus dem Papier gestrichen worden sind. Wir sind aber auch mit dem neuen Entwurf noch nicht zufrieden. Das Hauptproblem ist, dass wie keine Zeit hatten, uns wirklich konstruktiv in die Diskussion einzubringen. Eine Woche für ein so komplexes Thema ist einfach zu kurz. Wir sind ehrenamtlich tätig, wir haben alle einen Job und wir müssen uns untereinander abstimmen. Außerdem haben die drei großen Vereine der Liga in diesen Tagen noch in der Champions-League gespielt. Die Abstimmung über das DFL-Papier hätte aus unserer Sicht wesentlich mehr Zeit erfordert."
Piraten glauben nicht an Gewalt-Zunahme um Umfeld der Bundesligaspiele
Die Piratenfraktion im Landtag NRW widerspricht der politischen Auslegung einer neuen Statistik der Zentralen Informationsstelle Sport (ZIS) über die Saison 2011/12, die vom NRW-Innenministerium vorgestellt worden war. Minister Jäger hatte in diesem Zusammenhang von einem „Alarmsignal“ gesprochen. Die Gewalt nehme immer mehr zu
Piraten-Abgeordneter Frank Herrmann, Obmann im Innenausschuss, meinte: „Die neuen Zahlen der ZIS zeigen, dass die Verletztenzahlen im Verhältnis zu den stark wachsenden Zuschauerzahlen marginal gestiegen sind. Die Zustände rund um die Fußballspiele werden damit wieder einmal dramatisiert.“
ZIS-Statistik erfasst nicht, wie die Verletzungen entstehen
„Im Übrigen wird in der Statistik der ZIS nicht erfasst, wodurch die Verletzungen aufgetreten sind. Für eine sinnvolle Auswertung wäre die Information aber wichtig, denn oft entstehen Verletzungen auch durch den Einsatz von Pfefferspray seitens der Polizei“, so Herrmann.
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Hier stellen sich die Piraten also eng an die Seite von „ProFans“ und „Unsere Kurve“. Die beiden Organisationen sagen es so: „Verletzte durch Pfefferspry-Einsätze der Polizei oder auch Behandlungen wegen übermäßigem Alkoholkonsum deuten nicht auf einen Anstieg der Gewaltbereitschaft bei Fans hin.“
Die Polizei sieht die Bundesliga-Vereine in der Pflicht
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Nordrhein-Westfalen wirft indes dem Deutschen Fußballbund (DFB) und den Bundesligavereinen vor, bei Auseinandersetzungen ihrer Fans noch immer wegzuschauen, statt die Gewalttäter in den eigenen Reihen konsequent auszuschließen. „Erst wenn unwiderlegbare Fakten für die zunehmende Gewalt auf dem Tisch liegen, bemühen sich die Verantwortlichen um eine Eindämmung des Problems.
Bis dahin wird weggeschaut und verdrängt, um die eigenen Fans bei Laune zu halten“, sagte der nordrhein-westfälische GdP-Vorsitzende Arnold Plickert nach dem Bekanntwerden des Berichts der ZIS über die gewalttätigen Auseinandersetzungen während der Saison 2011/2012. Die GdP errechnet bei den durch Gewalttaten Verletzten eine Zunahme von 20 Prozent im Vergleich zur Bundesliga-Saison 2010/2011.
Plickert fordert einen daher eigenen ZIS-Bericht für Nordrhein-Westfalen: „Wir brauchen konkrete Erkenntnisse zu den Gewalttätern unter den NRW-Fans. Nur so kann die Polizei gezielt gegen die Störer vorgehen.“
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