Ankara. . Premier Erdogan macht sich für die Wiedereinführung der Todesstrafe für Terroristen in der Türkei stark. Damit schreibt er faktisch einen Beitritt seines Landes zur Europäischen Union ab. Denn auf Druck aus Brüssel war sie vor zehn Jahren erst abgeschafft worden.

Der türkische Regierungschef Tayyip Erdogan macht sich für die Wiedereinführung der Todesstrafe stark. Er schreibt damit zugleich einen Beitritt seines Landes zur Europäischen Union ab, auf deren Druck das türkische Parlament vor zehn Jahren die Todesstrafe abgeschafft hatte.

Dann soll PKK-Chef Öcalan hingerichtet werden

Per Kurznachrichtendienst Twitter verschickte Erdogan gestern seine Botschaft: „Wenn nötig, sollte die Todesstrafe wieder auf die Tagesordnung kommen.“ Schon am 3. November hatte der Premier vor Funktionären seiner gemäßigt islamischen Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) erklärt, die türkische Öffentlichkeit sei für die Wiedereinführung der Todesstrafe, damit der kurdische PKK-Chef Abdullah Öcalan hingerichtet werden könne. Öcalan war im Jahr 1999 zum Tode verurteilt worden. Die Strafe wurde zunächst aber nicht vollstreckt.

Schon seit 1984 hatte die Türkei die Vollstreckung von Todesurteilen ausgesetzt. Nachdem Ankara 2002 auf Druck aus Brüssel die Todesstrafe abgeschafft hatte, wurde Öcalan zu lebenslanger Haft begnadigt. Er verbüßt seine Strafe auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer.

„In bestimmten Situationen legitim“

Vizepremier Bülent Arinc erklärte zwar noch vor wenigen Tagen, es gebe derzeit keine Pläne zur Wiedereinführung der Todesstrafe. Doch Erdogan lässt nicht locker. Am 9. November sagte er beim Bali Demokratie-Forum in Indonesien, die Todesstrafe sei „in bestimmten Situationen legitim“, etwa in einem Fall wie dem des norwegischen Massenmörders Anders Breivik. Am Tag nach seiner Rede in Indonesien wiederholte Erdogan auf dem Heimflug vor mitreisenden Journalisten, man solle die Todesstrafe zwar nicht für politische Verbrechen aber im Zusammenhang mit „Terrorverbrechen“ diskutieren.

Am Sonntag griff Erdogan dann das Thema in Trabzon an der türkischen Schwarzmeerküste erneut auf. Der Staat habe nicht das Recht, einem Mörder zu vergeben; dazu sei allein die Familie des Opfers berechtigt, erklärte Erdogan.

Täglich blutige Kämpfe

Dass sich Erdogan gerade jetzt so nachdrücklich für die Wiedereinführung der Todesstrafe stark macht, hängt offenbar mit der Eskalation im Kurdenkonflikt zusammen. Die Gefechte haben eine Intensität wie zuletzt in den 1990er-Jahren. Kein Tag vergeht ohne blutige Kämpfe, fast jeden Abend sind in den TV-Nachrichten die Begräbnisse gefallener Soldaten zu sehen.

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Nur „auf Druck bekannter Kreise“ habe die Türkei vor zehn Jahren die Todesstrafe abgeschafft, sagte Erdogan und spielte damit auf die EU an. Allein deshalb sei Öcalan noch am Leben, unterstrich der Premier. Gerichtet war das vor allem an die rund 700 kurdischen Häftlinge, die seit zwei Monaten im Hungerstreik sind, um ein Ende der Isolationshaft Öcalans zu erreichen.

Die Reaktion der Europäischen Union spielt offenbar keine Rolle

Mit seiner Forderung nach Wiedereinführung der Todesstrafe gießt Erdogan Öl ins Feuer des Kurdenkonflikts. Doch das scheint ihm ebenso wenig Sorge zu bereiten wie die Reaktionen der Europäischen Union.

Er hat die Beitrittsperspektive offenbar ohnehin abgeschrieben: „Die internationale Gemeinschaft besteht nicht nur aus der Europäischen Union“, sagte Erdogan am Sonntag. Schließlich wendeten die USA, Russland, China und Japan die Todesstrafe an, und drei dieser Länder seien immerhin ständige Mitglieder im UN-Sicherheitsrat. „Wir sollten deshalb unsere Haltung überdenken“, meint Erdogan.