Dohuk/Nordirak. NRZ und Caritas haben Spendenaktion für eines der wenigen Frauenhäuser im Irak ins Leben gerufen. Mit Mauern und Stacheldraht müssen die verstoßenen Bewohnerinnen geschützt werden. Es fehlt an allem.

. Hohe Mauern mit Stacheldraht. Tore aus Stahl. Vergitterte Fenster. Bewaffnete Wachen. Dieses Haus am Rande von Dohuk im kurdischen Nordirak ist kein Gefängnis. Es ist ein Zufluchtsort. Für Frauen wie Ronak, die erst 30 ist, aber viel älter aussieht. Ronak lebt hier, weil sie, wie sie es hier ausdrücken, einen Fehler gemacht hat. Sie hatte eine außereheliche Beziehung. In ihrem kleinen Heimatdorf im Distrikt Bardarasch kann so etwas den Tod bedeuten.

Ronak sitzt im Büro von Chian Mustafa, der Leiterin des Frauenhauses. Frau Mustafa ist eine stattliche Person. Sie sitzt kerzengerade auf ihrem Stuhl und beobachtet die schmale Frau, die sich auf dem Sofa noch kleiner macht. Ronak presst ihre nackten Füße aneinander, knetet die Hände im Schoß und hält den Kopf gesenkt, während sie ihre Geschichte erzählt. Manchmal schaut sie scheu unter dem Kopftuch herüber zu Frau Mustafa. Ronak hat nie eine Schule besucht, sie kann nicht lesen und schreiben. Mit 26 heiratete sie, viel später als die meisten Frauen in ihrem Dorf. Ronaks Ehe war ein Desaster. „Nach ein paar Monaten wollte mich mein Mann nicht mehr haben. Er hat mich geschlagen und mir gesagt, dass ich weggehen soll.“ Ronak begann eine Beziehung, wurde schwanger und hatte eine Fehlgeburt. Ihr Freund kam wegen Ehebruchs für 20 Tage ins Gefängnis und meldete sich nie wieder bei ihr. Ihr Mann verstieß sie. „Er hat mir gesagt: ‚Egal wo ich dich sehe – ich töte dich.‘“ Auch ihre Familie wandte sich von Ronak ab. „Mein Bruder hat mich bedroht, ein Onkel wollte mich umbringen.“ Die Polizei brachte Ronak ins Frauenhaus nach Dohuk. Sie lebt seit zwei Jahren hier. Zwei quälend lange Jahre.

Mit Ronak wohnen 14 andere Frauen. Manche sind Mütter, so wie Munira, 31, die aus dem selben Distrikt stammt. Auf ihren Händen verblassen die traditionellen Tätowierungen, die vor dem Bösen schützen sollen. Geholfen haben sie Munira nicht. Sie ist vermutlich von einem Familienangehörigen missbraucht worden und wurde schwanger. Als Unverheiratete wurde auch sie verstoßen. Auch sie sollte sterben, weil sie die Ehre der Familie befleckt hat. Ihr Sohn ist heute zwei Jahre. Munira weiß – wenn er sechs Jahre alt wird, muss sie sich von ihm trennen. Sobald die Kinder schulpflichtig sind, kommen sie in ein Waisenhaus. „Ich will nicht von meinem Kind getrennt werden“, sagt sie.

Draußen lauert die Gefahr. Drinnen ist es trist

Ronak lebt seit zwei Jahren in dem Frauenhaus in Dohuk.
Ronak lebt seit zwei Jahren in dem Frauenhaus in Dohuk. © Jan Jessen | Jan Jessen

Die Frauen und die Kinder sind in sechs schlichten Räumen untergebracht, die jeweils knapp zehn Quadratmeter groß sind. Ihr Alltag ist trist. Raus dürfen sie nicht, aus Sorge, ihnen könne etwas geschehen. Draußen lauert Gefahr. Deswegen die Gitter, der Stacheldraht, die Wachen. Drinnen tröpfelt das Leben dahin. Ein bisschen Hilfe beim Kochen, Putzen. Mehr gibt es hier nicht zu tun. Im Haus arbeiten keine Psychologinnen, keine Sozialarbeiterinnen. „Unser Personal ist überhaupt nicht ausgebildet“, sagt Frau Mustafa, die Leiterin. Es fehlt hier an allem, klagt sie. An Geld für eine vernünftige Ausstattung, für Spielzeug, für angemessene Betreuung der Frauen und Kinder, für Nähmaschinenkurse. Der Staat hat andere Prioritäten.

Ihr resolutes Auftreten gegenüber den Frauen heißt nicht, dass Chian Mustafa kein Herz für sie hat. Sie ist zornig über die archaischen Sitten, die die Frauen hierher gebracht haben. „Wenn junge Frauen von ihren Männern geschlagen und vergewaltigt werden, sagen ihre Mütter ihnen oft, dass sie sich daran gewöhnen sollten. Das sei eben so. Eine Frau muss ihrem Mann dienen, auch wenn er sie schlägt, sagen sie dann.“

Dabei bewegt sich die Gesellschaft hier in der autonomen kurdischen Region ein wenig, zumindest. Im Vergleich zum Rest-Irak sind die Gesetze in Kurdistan fortschrittlich. Männer dürfen hier keine Minderjährigen heiraten, die Vielehe ist verboten. Und ein Mann, der eine Ehefrau, Tochter, Schwester oder Mutter tötet, weil sie die Familie „entehrt“ hat, gilt vor dem kurdischen Gesetz als das, was er ist – ein Mörder. In der irakischen Verfassung werden ihm dagegen mildernde Umstände zugesprochen.

Dort, wo die Bildung gering und die Tradition Gesetz ist

In der Realität kommt es allerdings nicht allzu oft zu Verfahren, schon deshalb, weil die meisten Verbrechen nicht angezeigt werden. Gewalt ist eine alltägliche Erfahrung für viele Frauen. In einem Drittel der Haushalte in Kurdistan werden Frauen geschlagen und missbraucht, sagt die vermutlich geschönte Statistik. Besonders häufig in ländlichen Gebieten, dort, wo Ronak und Munira aufgewachsen sind und die Bildung gering und die Tradition Gesetz ist.

„Vielleicht nimmt mich ja eine fremde Familie auf, bei der ich dann im Haushalt helfen kann“, sagt Ronak, die schmale Frau. Über eine Nähmaschine würde sie sich freuen, sagt sie und lächelt verlegen. „Dann könnte ich nähen lernen und damit etwas Geld verdienen.“ Vor allem aber, sagt sie „träume ich davon, wieder in mein Dorf zurückgehen zu dürfen. Aber meine Familie will das nicht“. In den zwei Jahren, in denen Ronak hier in dem Frauenhaus in Dohuk lebt, sind in ihrem Heimatdorf zwei Frauen ermordet worden. Weil sie gegen die Familienehre verstoßen haben.