Berlin. . 13 Jahre lang konnte das Neonazi-Trio unbehelligt im Untergrund agieren. 14 Banküberfälle und zehn Morde gehen auf ihr Konto. Vor einem Jahr kamen die Fahnder auf die Spur – eher durch einen Zufall. Für die Ermittlungsbehörden ist der Fall ein Debakel. Noch immer ist die Aufarbeitung der Pannen nicht abgeschlossen.

Die Mörder kommen meist mit dem Fahrrad. Auch am 9. Juni 2004 in der Keupstraße in Köln, als Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt eine Bombe befördern. Die Terroristen ahnen nicht, dass sie gefilmt werden. Eine Überwachungskamera des benachbarten Musik-Senders „Viva“ nimmt sie auf. Später stellt die Polizei das Video auf ihre Homepage.

Die ersten, die sich verdächtig machen, weil sie vom Film nicht lassen können, stellen sich als Kollegen vom Verfassungsschutz heraus. Der Unions-Obman im NSU-Untersuchungsausschuss, Clemens Binninger, kann sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er die Geschichte erzählt.

Dem CDU-Mann zeigt sie, wie wenig die Behörden bei der Aufklärung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) kooperierten. Die Polizei verschickt keine DVD, der Verfassungsschutz fragt nicht an.

Die Polizei ist fixiert

Im NSU-Untersuchungsausschuss kennen sie viele solcher Geschichten. 13 Jahre lang können Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe zwei Anschläge, 14 Banküberfälle und zehn Morde verüben, bis das Trio am 4. November 2011 auffliegt – eher durch einen Zufall als durch gezielte Fahndung. Obwohl neun ihrer Opfer Migranten sind, ist die Polizei fixiert auf die organisierte Kriminalität. „Das ist eine Art von Vorfestlegung, die sich wie ein roter Faden durchzieht“, sagt Sebastian Edathy (SPD), Leiter des Untersuchungsausschusses.

Rückblick: Ab 1994 radikalisieren sich die Neonazis. 1998 kommt das Trio seiner Festnahme zuvor und taucht unter. Dann, es ist der 9. September 2000, der erste Mord. Es trifft einen türkischen Blumenhändler in Nürnberg. Bis heute ist unklar, wie die Täter auf ihre Opfer kommen. Die Auswahl – in München, Dortmund, Kassel, Rostock oder Hamburg – ist zu spezifisch, um von Zufall zu sprechen. Einmal weichen sie von ihrer Serie ab, als sie im April 2007 in Heilbronn die Polizistin Michèlle Kiesewetter töten und ihren Kollegen mit einem Kopfschuss verletzen. Danach hören die Morde auf. Warum?

Zeugen bringen die Beamten auf die Spur

Das Trio bezieht eine Wohnung in Zwickau und führt unter falschen Namen ein normales Leben. Wenn sie klamm sind, überfallen sie eine Bank, auch am 4. November 2011. Die zwei Männer machen sich mit dem Rad davon; im Wohnmobil wollen sie die Fahndung aussitzen. Nur: Diesmal hält die Polizei – nach Zeugenaussagen – auch nach Wohnmobilen Ausschau. Das wird ihnen zum Verhängnis, die Männer begehen Selbstmord. Als Zschäpe vom Tod ihrer Kumpanen erfährt, steckt sie die Wohnung in Zwickau in Brand, verschickt DVDs mit einem Bekennervideo. Erst jetzt wird die Linie zu den Morden gezogen.

Schnell wird klar: Für die Fahndungsbehörden ist der „Fall NSU“ ein Debakel. Die Geheimdienste operierten meist aneinander vorbei, hielten Akten zurück oder schredderten wichtige Dokumente. Gleich mehrere Behörden-Chefs müssen ihren Hut nehmen. Untersuchungsausschüsse in Land und Bund sollen das Versagen und mögliche Vertuschungsversuche aufarbeiten.

Eine Konsequenz aus der Niederlage der Sicherheitsbehörden ist eine zentrale Datei zur Erfassung von Neonazis. Und Mitte 2013 will der Untersuchungsausschuss Empfehlungen für eine Reform der Behörden machen.