Für die zusätzlichen 130 Milliarden Euro aus dem zweiten Rettungsprogramm hat sich Athen im März zu einem detaillierten Spar- und Reformplan verpflichtet: Das umfangreiche Abkommen sah unter anderem einen Abbau von 150.000 Stellen im öffentlichen Dienst, eine Absenkung des Mindestlohns um 22 Prozent, Privatisierungen von 50 Milliarden Euro und die Anhebung der Nahverkehrspreise um 25 Prozent vor.

Brüssel (dapd). Für die zusätzlichen 130 Milliarden Euro aus dem zweiten Rettungsprogramm hat sich Athen im März zu einem detaillierten Spar- und Reformplan verpflichtet: Das umfangreiche Abkommen sah unter anderem einen Abbau von 150.000 Stellen im öffentlichen Dienst, eine Absenkung des Mindestlohns um 22 Prozent, Privatisierungen von 50 Milliarden Euro und die Anhebung der Nahverkehrspreise um 25 Prozent vor. Das Ziel: Schon Ende 2014 sollte die griechische Regierung abzüglich Schuldendienst einen Haushaltsüberschuss von 4,5 Prozent erzielen - und seine Rechnungen somit endlich wieder ohne Hilfe der internationalen Geldgeber bezahlen können.

Doch genau dieses Datum soll nun offenbar nach hinten gestreckt werden. Wenn erst später gespart wird, fallen vorher allerdings auch höhere Schuldenzinsen an und das Geld fehlt an anderer Stelle. "Wenn wir eine zweijährige Verlängerung bekämen, würde das eine Finanzierungslücke von 13 bis 15 Milliarden Euro bedeuten", sagte der griechische Finanzminister Yannis Stournaras vor einem Monat, neue griechische Berechnungen gehen von 12 bis 13 Milliarden Euro aus. EU-Diplomaten beziffern die Finanzierungslücke deutlich höher. Stournaras will sie erklärtermaßen ohne neue Notkredite schließen, das wäre dann der lang ersehnte Durchbruch.

Doch die Bundesregierung wollte bislang von einem Aufschub nichts wissen. "Mehr Zeit heißt im Allgemeinen mehr Geld", hatte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) noch Ende August gesagt. Auch Wirtschaftsminister Philipp Rösler stellte dieselbe Gleichung auf: "Mehr Zeit bedeutet mehr Geld." Und das will den Griechen zurzeit niemand geben, ein drittes Rettungspaket vor der Bundestagswahl im Herbst 2013 gilt hierzulande als politisch kaum durchsetzbar.

Absichtserklärung lässt Raum für Fristverlängerung

Dabei wird schon seit Monaten über die Finanzierungslücke spekuliert. Schon beim Start des neuen Programms im März galt die Finanzierung als zu knapp. Dann kamen die Reformen wegen zwei Parlamentswahlen zum Stillstand. Die Konjunktur brach noch stärker ein als befürchtet, seit nun fünf Jahren befindet sich die griechische Wirtschaft in einer Abwärtsspirale. Das weitere Kürzungen die Konjunktur noch weiter abwürgen, ist auch den Troika-Inspektoren der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) bewusst.

Einen entsprechenden Passus hatte die griechische Regierung auch in die Absichtserklärung mit den Troika-Parteien aufgenommen. Darin heißt es: "Wir würden mit der EU, EZB und dem IWF beraten, falls die Rezession deutlich starker ausfällt als vorausgesagt, um zu bewerten, ob der finanzielle Anpassungspfad über 2014 hinaus verlängert werden soll." Nach Angaben der "Süddeutschen Zeitung" sollen etwa die Fristen für die Umsetzung von Reformen auf dem Arbeitsmarkt und in der Energiewirtschaft sowie für den Verkauf staatlicher Betriebe und Grundstücke verlängert werden.

Warum scheint das plötzlich möglich? Weil die Troika den Griechen attestiert, ihre Hausaufgaben endlich ernsthaft anzupacken. Mit einem formellen Zeugnis darüber wird in den kommenden Tagen gerechnet. Schon am Vorabend des EU-Gipfels in der letzten Woche hatten die Schuldenkontrolleure Athen bescheinigt, in den Schlüsselfragen zu liefern.

Ganz unmittelbar geht es jetzt erst mal um die Freigabe der nächsten Kredittranche in Höhe von 31,5 Milliarden Euro, ohne die Athen Mitte November in die Pleite rutschen würde. Frankreichs Staatspräsident François Hollande hat die Rettung schon versprochen, weil sich die Frage nach einem Euro-Austritt des Landes "nicht mehr stellen sollte". Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will zunächst den bevorstehenden Troika-Bericht abwarten. Auf dem Spiel steht ohne Frage viel. Nach Schätzung der Bertelsmann-Stiftung könnte ein griechischer Staatsbankrott und Euro-Ausstieg die Industrie- und Schwellenländer bis 2020 etwa 17,2 Billionen Euro kosten.

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