Eine aus Brüssel verordnete Frauenquote steht wegen Grabenkämpfen innerhalb der EU-Kommission wieder auf der Kippe. Das Kollegium ließ Justizkommissarin Viviane Reding am Dienstag überraschend auflaufen und stellte sich nicht geschlossen hinter ihren Vorschlag. Die Entscheidung wurde auf spätestens Ende November vertagt - mit offenem Ausgang.
Straßburg/Brüssel (dapd). Eine aus Brüssel verordnete Frauenquote steht wegen Grabenkämpfen innerhalb der EU-Kommission wieder auf der Kippe. Das Kollegium ließ Justizkommissarin Viviane Reding am Dienstag überraschend auflaufen und stellte sich nicht geschlossen hinter ihren Vorschlag. Die Entscheidung wurde auf spätestens Ende November vertagt - mit offenem Ausgang.
Reding selbst will die Waffen noch nicht strecken. "Seit hundert Jahren kämpfen wir, was machen ein oder zwei Wochen da für einen Unterschied?", sagte sie auf einem spontan einberufenen Pressebriefing in Straßburg. Entscheidend sei, dass ein gutes Gesetz herauskomme. Und das soll nach ihrem Wunsch vorschreiben, das Vorstandsetagen börsennotierter Unternehmen bis 2020 zu 40 Prozent mit Frauen besetzt sind. Das geht in die Richtung des Bundesrates in Berlin, der Ende September für eine Quote für Aufsichtsräte gestimmt hat, mit dem Ziel, bis 2023 auf einen Frauenanteil von 40 Prozent zu kommen.
Doch ist die Brüsseler Vorgabe seit Dienstag noch realistisch? Redings Kolleginnen Neelie Kroes (Digitales) und Cecilia Malmström (Binnenressort), aber auch Haushaltskommissar Janusz Lewandowski stemmten sich gegen die Quote. Kommt es in zwei, drei oder vier Wochen zur Abstimmung, reicht eine Gegenstimme, um den Vorschlag zu vereiteln. Wie sie die Gegner auf ihre Seite ziehen will, ließ Reding zunächst offen. "Wir brauchen mehr Zeit. Und der juristische Dienst braucht mehr Zeit", sagte sie. So müsse noch hinreichend geklärt werden, dass die Quote nur für Vorstände, aber nicht für das Management gelten dürfe. Zudem gebe es noch Klärungsbedarf, wie die etwaigen Regeln in den Staaten genau umgesetzt werden sollen. Einer Kommissionsquelle zufolge haben die EU-Juristen aber auch generelle Probleme damit, wenn Stellen nicht ergebnisoffen ausgeschrieben werden.
Der Kampf um die Quote bleibt damit ein Brüsseler Krimi. Noch am Mittag hatte ein Kommissionssprecher betont, es gebe keine Hinweise, dass der Vorschlag nicht vom Kollegium angenommen werde. Doch hinter verschlossenen Türen kam es dann zum "zivilisierten" aber energischen Schlagabtausch, wie Eingeweihte berichteten. Der deutsche Energiekommissar Günther Oettinger soll seinen Widerstand dem Vernehmen nach aufgegeben haben. Und viele Kommissare stellten sich auch hinter Reding, darunter die Schwergewichte Olli Rehn (Währung) und Michel Barnier (Binnenmarkt). Barroso verhinderte immerhin, dass es zu einer Abstimmung kam, denn die hätte das Aus für den Vorstoß bedeutet.
Vorbild Frankreich
Redings Hauptargument dafür: Alle bisherigen Zusagen oder Selbstverpflichtungen der Unternehmen haben "im Grundsatz gar nichts bewegt". In den letzten zwölf Monaten stieg der Frauenanteil in den Vorständen börsennotierter Unternehmen aller Appelle zum Trotz nur minimal auf 13,5 Prozent. Das reicht der Luxemburgerin bei weitem nicht. "Ich bin zwar kein großer Fan von Quoten. Aber ich mag die Ergebnisse, die sie bringen", hatte sie schon vor der Sommerpause gedroht. Ihr bestes Beispiel: Frankreich. Dort wurde vor einem Jahr eine Quote eingeführt. Und seither ist die Zahl der Frauen pro hundert Vorstandsposten von zwölf auf 22 hochgeschnellt.
Widerstand gibt es aber nicht nur innerhalb der Kommission. Großbritannien hat schon vorab neun Länder um sich gescharrt, um einen etwaigen Gesetzesentwurf aus Brüssel abzuschmettern. Und auch die Bundesregierung ist - Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ausgenommen - gegen gesetzliche Vorgaben. "Man kann über die richtigen Instrumente zur Durchsetzung der Gleichberechtigung politisch trefflich streiten", sagte Außenminister Guido Westerwelle (FDP) am Dienstag in Berlin. "Aber ich persönlich glaube nicht, dass es Aufgabe von Brüssel ist, einem mittelständischen Unternehmen die Besetzung seiner Führungsgremien verbindlich vorzuschreiben."
Kritiker bemängeln überdies, eine Quote für Vorstandsetagen habe allenfalls eine symbolische Aussage. Denn die nicht-exekutiven Gremien haben mit dem operativen Geschäft nichts zu tun.
Van Rompuys verpasste Chance
Die Kommissionsquerelen um die Frauenquote waren am Dienstag nur ein Schauplatzes des europäischen Geschlechterkampfes: Heftig gestritten wurde auch vor dem EU-Parlament in Straßburg. Denn die Abgeordneten sollen dort am Donnerstag ihre Zustimmung für die Berufung des Luxemburgers Yves Mersch in das Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) geben. Ihr (und Merschs) Problem: Das mächtige Gremium ist frauenfrei - und wird es wohl auch bis zum nächsten Personalwechsel in sechs Jahren bleiben. Ratschef Van Rompuy räumte das Problem auch ein, und beteuerte, er habe auf dem EU-Gipfel vorige Woche darauf gepocht, "weibliche Kandidatinnen für freie Stellen auf europäischer Ebene auszusuchen und vorzuschlagen".
Doch für die Sozialdemokraten ist das nur ein Lippenbekenntnis. "Wir wollten eine Zusage, wie es in Zukunft weitergeht. Die haben wir nicht bekommen", sagte der Fraktionschef der europäischen Sozialdemokraten, Hannes Swoboda. "Wir werden das in keinem Fall mittragen", sagte die Grünen-Politikerin Rebecca Harms. "Wir wollen heute eine Frau im Zentrum der Macht und in der Zentralbank. Wir lassen uns nicht vertrösten."
Nun kommt es am Donnerstag zur Kampfabstimmung. Stoppen können die Parlamentarier Mersch nicht, denn das Parlament muss den Kandidaten der Mitgliedsstaaten nur anhören. Doch setzten sich die Hauptstädte über eine Ablehnung in Straßburg hinweg, wäre die Legitimation des Kandidaten ramponiert. Zudem würde die Provokation der Regierungen das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Rat und Parlament weiter belasten. Kein gutes Vorzeichen für wichtige anstehende Gesetzesvorhaben zur Bewältigung der Eurokrise. Das Zitat des Tages dazu lieferte Mersch selbst: "Ja, ich muss leider bekennen, ich bin keine Frau."
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