Nach der Stuttgarter Oberbürgermeisterwahl streiten CDU und Grüne darüber, wer die bürgerlichere Partei ist. Nach Ansicht des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) hat niemand einen Alleinvertretungsanspruch darauf, bürgerlich zu sein.
Stuttgart/Berlin (dapd). Nach der Stuttgarter Oberbürgermeisterwahl streiten CDU und Grüne darüber, wer die bürgerlichere Partei ist. Nach Ansicht des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) hat niemand einen Alleinvertretungsanspruch darauf, bürgerlich zu sein. "Bürger sind wir alle hoffentlich. Das bürgerliche Lager besteht aus der ganzen Bürgerschaft", sagte der Grünen-Politiker am Dienstag in Stuttgart. Der Stuttgarter CDU-Fraktionschef Peter Hauk setzte dem entgegen: "Die CDU ist die bürgerliche Mitte."
Während des Wahlkampfes hatte der Kandidat von CDU, FDP und Freien Wählern, Sebastian Turner (CDU), die Stimmen aus dem konservativ geprägten sogenannten "bürgerlichen Lager" für sich beansprucht. Wahlsieger wurde schließlich der Grünen-Politiker Fritz Kuhn. Kuhn erklärte seinen Erfolg auch bei früheren CDU-Wählern damit, dass er ein wertkonservativer Mensch sei.
Kretschmann sagte, natürlich seien die Grünen und er selbst bürgerlich. "Was soll ich denn sonst sein", sagte er. Kretschmann wandte sich allerdings gegen Vermutungen, die Grünen könnten die neuen Konservativen im Land sein: "Die Neue CDU sind wir nicht. Wir wollen jetzt nicht die CDU doppeln. CDU ist CDU und die Grünen sind die Grünen", sagte er. Es gelte, was die Grünen noch vor 30 Jahren als Slogan plakatiert hätten: "Die Grünen sind weder links noch rechts, sondern vorn."
Nachhaltig, tolerant, weltoffen
Der Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Jürgen Trittin, führt Kuhns Erfolg vor allem auf ein verändertes Selbstverständnis im "Bürgertum" zurück. "Das Bürgertum in den Städten ist heute nicht mehr schwarz, rechts und konservativ. Es ist grün und solidarisch", sagte Trittin. Im Gegensatz zur Union stünden die Grünen für "eine klare Orientierung und für klare Werte", fügte Trittin hinzu. "Grüne Wertvorstellungen" wie Nachhaltigkeit, Solidarität, Toleranz und Weltoffenheit seien mittlerweile nicht nur in den Großstädten vorherrschend.
Hauk widersprach dieser Theorie: Die CDU sei das Original und nicht die Grünen. Zwar hätten ältere Grünen-Realos in Baden-Württemberg wie Kretschmann und Kuhn ein konservativeres Profil. Dass dies aber nicht für die ganze Partei gelte, zeigten Parteilinke wie Trittin, die keinesfalls deren Linie teilten.
CDU hat Probleme in Großstädten
Indes wurde in der CDU Kritik an der eignen Kandidatenwahl und der Wahlkampftaktik laut. Der Stuttgarter CDU-Landtagsabgeordnete Reinhard Löffler resümierte sarkastisch, nach der verlorenen Wahl in Stuttgart könne sich "die CDU voll auf den ländlichen Raum konzentrieren". Er kritisierte, dass der Landesverband die Entscheidung über den Kandidaten dem Kreisverband überlassen hatte. Landesparteichef Thomas Strobl und Fraktionschef Hauk hätten dies zur Chefsache mache müssen. "Dafür ist das Amt zu wichtig", monierte Löffler.
Hauk gab indes Strobl recht, dass die Partei ein Problem in Großstädten habe. Es bestehe Aufholbedarf, unter anderem bei den Themen Kinderbetreuung und Frauen in der Gesellschaft. Ähnlich äußerte sich Turner, der Parteichefin Angela Merkel aufforderte, mehr auf die Probleme der Städter einzugehen. "Die Themen, die für Städter von Bedeutung sind, müssen vorne ins Schaufenster. Sie können in Stuttgart am Wahlstand noch so oft 'Kita' sagen, wenn die Wähler in der 'Tagesschau' immer nur 'Betreuungsgeld' hören", sagte Turner der Zeitung "Die Welt". Über die Unterstützung im bürgerlichen Lager wolle er sich aber nicht beschweren. Letztlich habe sein Konkurrent Kuhn einen höheren Bekanntheitsgrad gehabt.
Der CDU-Landtagsabgeordnete aus Heilbronn, Bernhard Lasotta, forderte eine "ganz bewusste Nachwuchsförderung", da es der Partei an Persönlichkeiten fehle, die die Menschen ansprächen. Seit Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) werde dies vernachlässigt. Aus Lasottas Sicht lag das Hauptproblem bei der Stuttgarter Wahl an der Persönlichkeit Turners. Man habe vorher nicht gewusst, ob er "den Nerv der Menschen trifft".
Der frühere CDU-Sozialminister und ehemalige Singener Oberbürgermeister, Andreas Renner, der Turner bei der Nominierung zum CDU-Kandidaten im März unterlegen war, sagte mit Blick auf die Angriffe aus dem Turner-Lager auf Kuhn: "Es ist müßig, gute Ratschläge zu geben. Aber der Wahlkampfstil der letzten zwei Wochen war sicher suboptimal." Er fügte hinzu: "Offensichtlich konnten sich mit Fritz Kuhn mehr Wähler identifizieren."
dapd