Mülheim. . 50 Jahre nach Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils sieht Kurienkardinal Walter Kasper noch Nachholbedarf für die Kirche. In der katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ in Mülheim erinnerte das Bistum Essen mit prominenten Gästen an die Eröffnung der größten Bischofsversammlung aller Zeiten. Über das Thema Ökumene sprach der ehemalige päpstliche „Ökumene-Minister“ Kasper mit der Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus.

Es war das wichtigste Ereignis der jüngeren Kirchengeschichte, beschäftige mehr als drei Jahre lang gut 2500 Bischöfe und ihre Berater und gab der katholischen Kirche die Gestalt, in der sie die rund 1,2 Milliarden Gläubigen weltweit heute kennen. Da war es ein gewagtes Unterfangen der Mülheimer Akademie „Die Wolfsburg“, dieses Zweite Vatikanische Konzil 50 Jahre nach seiner Eröffnung an einem einzigen Abend abzuhandeln. Doch dieser Parforce-Ritt ist gelungen: Nach sechs Stunden Vortrag,

Stefan Müller-Ruppert las Original-Texte der Konzils-Dokumente. Sein Stuhl war einst der Sitz des ersten Ruhrbischofs Hengsbach beim Konzil.
Stefan Müller-Ruppert las Original-Texte der Konzils-Dokumente. Sein Stuhl war einst der Sitz des ersten Ruhrbischofs Hengsbach beim Konzil. © Bistum Essen

Diskussionen, Musik und Original-Zitaten aus den wichtigsten Konzils-Dokumenten, etwa über die Ökumene, die Laien oder die Position der Kirche in der Welt, hatten am späten Dienstagabend einige Hundert Zuhörer fünf beeindruckende Geschichtsstunden hinter sich.

Sie erlebten einen Abend, bei dem es seltener um das Staunen über die unglaubliche Aufbruchsstimmung und Dynamik ging, die die katholische Kirche seinerzeit erfasste. Viel häufiger stand die Frage im Mittelpunkt ob und wie die Ereignisse des am 11. Oktober vor 50 Jahren von Papst Johannes XXIII. eröffneten Konzils denn heute noch wirken.

Die „Zeichen der Zeit“ erkennen

Für den emeritierten Kurienkardinal Walter Kasper ist das ganz klar. „Wir haben das Konzil noch nicht ausgeschöpft“, sagte der langjährige päpstliche „Ökumene-Minister“, der zur Zeit des Konzils ein junger Priester war. Egal ob beim Thema Laien in der Kirche oder beim Verhältnis zwischen Papst und Bischöfen – blicke man in die Anfang der 60er Jahre von den Kirchenführern verabschiedeten Dokumente bleibe „noch viel zu tun“.

„Geschichte braucht ein Fundament – und die Dynamik eines Prozesses“, betonte Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck. Dies gelte für das Konzil wie für den aktuellen Dialogprozess in der deutschen Kirche. Mit Blick auf die Position der Kirche in der Welt habe das Konzil von den „Zeichen der Zeit“ gesprochen, die es zu erkennen gelte. Eines dieser Zeichen sei heute die „Frauenfrage“, sagte Overbeck – nicht nur mit Blick auf eine neue Rolle der Frauen in der Kirche, sondern auch auf sich wandelnde Beziehungen der Geschlechter.

Das Zweite Vatikanische Konzil gilt als Durchbruch für die Ökumene, weil sich die katholische Kirche damit ein Stück weit von ihrem Absolutheitsanspruch entfernt hat. Einmütig betonten Kasper und die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, denn auch die Fortschritte, die seitdem im Miteinander der Konfessionen erzielt worden seien. „Ich habe Ökumene immer als etwas sehr selbstverständliches kennengelernt“, sagte die 49-Jährige. Und es liege wohl gerade daran, dass sich Katholiken und Protestanten heute so nahe seien, dass das, was sie noch trenne, so sehr schmerze. Auf ihre Forderung nach einer Zulassung evangelischer Ehepartner zur katholischen Eucharistie entgegnete Kasper: „In der Praxis ist da ja schon viel in Bewegung geraten.“ Aber vor der Kommunion werde „im katholischen Hochgebet auch um Gemeinschaft mit dem Papst und den Bischöfen gebetet“. Da müssten sich evangelische Christen entscheiden, „ob sie dazu Amen sagen – nur die Hand aufhalten geht nicht“, so der 79-Jährige.

Trotz aller Euphorie und Aufbruchstimmung nach dem Konzil sei zumindest in der deutschen katholischen Kirche der erhoffte „religiöse Frühling“ ausgeblieben, sagte Kasper. Das Konzil sei aber nicht Auslöser der modernen Kirchenkrise gewesen, betonte der Bochumer Kirchenhistoriker Wilhelm Damberg. Schon zuvor habe es starke Veränderungen im religiösen Leben gegeben, etwas in der Beichtpraxis oder bei der Entwicklung des Nachwuchses der Ordensgemeinschaften.

„Es hängt von uns Laien ab“

Trotz aller Negativentwicklungen sei die Kirche in Deutschland „auf einem guten Weg, das sollten wir uns nicht zerreden“, mahnte der Generalsekretär des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZDK), Stefan Vesper. Er betonte die gestärkte Position der Laien, die das Konzil festgelegt habe. Nun gehe es darum, „gemeinsam mit der evangelischen Kirche das christliche Potenzial in unserer Gesellschaft zur Geltung zu bringen“, so Vesper. „Es hängt von uns Laien ab, wie die Kirche wird – und vom Heiligen Geist.“